Erde an Seele! oder: die Therapie im Garten



Letzte Woche ging es mir persönlich gar nicht gut. Ich hatte ein paar knifflige Therapien am Laufen, die mich ungewöhnlich anstrengten. Meine Mutter war schwer krank und ich machte mir jede Menge Sorgen, wie alles weitergehen sollte. Und urlaubs(über)reif bin ich sowieso schon seit mindestens einem Monat! Ich war genervt, unzufrieden, schlief schlecht und meine Produktivität war auch schon mal besser. Allerhöchste Zeit für einen Gartentag!

Nicht umsonst gibt es - vor allem im angloamerikanischen Raum - mittlerweile eine Menge Therapie- und Rehazentren, an die Gärten angeschlossen sind, die von den Patienten gestaltet und gepflegt werden. In den USA existiert seit etwa 20 Jahren sogar eine so genannte „Horticultural Therapy“, die Gartenarbeit gezielt zur Heilung von physischen und psychischen Krankheiten nutzt. Aber auch viele ganz gesunde Menschen lieben Gartenarbeit und die Beschäftigung mit Pflanzen im allgemeinen. Ich selber hatte das große Glück, in einem Haus mit Garten (und einem passionierten Hobbygärtner als Vater) aufzuwachsen und merkte schon als kleines Kind, dass die Gartenarbeit für mich ein ganz wichtiges Ventil und eine zentrale Energiequelle gleichzeitig ist. Irgend etwas passiert da mit einem, während man in der Erde wühlt, Samen oder Dünger verstreut, Unkraut auszupft, Büsche schneidet ... Was ist das bloß, was mich (und so viele andere) so zur Ruhe kommen lässt?

In der Mai-Ausgabe des Hefts „Mein schöner Garten“ las ich den Bericht über den Garten einer ehemaligen Floristin und Zierpflanzengärtnerin, die aufgrund einer schweren Rheumaerkrankung seit zehn Jahren berufsunfähig und oft von heftigen Schmerzen gequält ist (man muss dazu sagen: sie ist heute erst 44 Jahre alt). Manchmal kann sie gar nicht im Garten arbeiten, manchmal geht es gut, aber ein Leben ohne ihn kann sie sich nicht vorstellen: „Der Garten ist mein Leben, meine Schmerztherapie, mein Sport und mein Psychiater“, sagt sie - und damit hat sie, finde ich, eigentlich alles zusammengefasst, was dieses Hobby zu einem so seelenfreundlichen macht. Ganz klar nachgewiesen ist mittlerweile beispielsweise der Zusammenhang zwischen Gartenarbeit und Entspannung: Wer sich mit Pflanzen beschäftigt, baut automatisch Stress ab, körperlich wie seelisch. Man wird ruhiger. Gleichzeitig wird man aber auf sanfte Art auch angeregt und zu Aktivität animiert. Ich kenne kaum einen Gärtner, der durch sein grünes Paradies geht und denkt: „Jetzt ist alles erledigt, es gibt nichts mehr zu tun.“ Selbst im Winter, wenn eigentlich Stillstand im Garten herrscht, regt ein Blick in den Garten den Geist an: Was könnte ich nächstes Jahr dort aussäen? Soll ich die gleichen Farben nehmen wie letztes Mal? Oder mal etwas ganz Neues ausprobieren?

Für Sportmuffel wie mich ist die Gartenarbeit außerdem ein Segen, sonst würde ich bestimmt schnell steif und träge werden. Fitnessstudio ist so gar nichts für mich - aber wenn ich draußen am Werkeln bin, merke ich gar nicht, dass ich so ganz nebenbei jede Menge Streck- und Beugeübungen mache und nach und nach so ziemlich alle Muskelgruppen mehr oder weniger beanspruche (das fällt mir erst am Muskelkater am Tag drauf auf!). Das alles aber in meinem eigenen Tempo und nicht nach den Ansagen einer Trainerin.

Selbst mein Verhältnis zum Wetter ist ein anderes geworden, seit wir den Garten haben. Früher haben mich Regentage oft geärgert und mit die Laune vermiest - heute atme ich auf und denke, wie gut für die Pflanzen, dass es endlich regnet! Auch Schnee und Eis haben sich von lästigen Übeln aus Autofahrersicht - Scheiben kratzen, schmutziger Schneematsch, der die Straßen verunziert und das Fahren gefährlich macht - wieder zurück in den weißen Zauber meiner Kindheit verwandelt. In meinem Garten bleibt der Schnee strahlend weiß, „deckt die Blümelein zu“ und schützt sie vor zu strenger Kälte, und der Frost zaubert aus Grashalmen und letzten Blüten kleine filigrane Eiskunstwerke.

Außerdem ist der Garten ein wunderbarer Ort, um Erfolgserlebnisse zu sammeln! Sicher, es gibt auch die Augenblicke, in denen man bekümmert vor einer eingegangenen Pflanze geht und sich fragt, was denn nun wieder schief gegangen ist. Oder den Moment, in dem wir am Samstag entdeckten, dass der Sturm den Wipfel unseres Pflaumenbaums geknickt hatte. Aber in Summe überwiegen doch zum Glück bei den meisten leidenschaftlichen Gartenmenschen die freudigen Momente: wenn man nach dem Winter die ersten zarten Triebe der Stauden aus der Erde spitzen sieht, wenn die ausgesäten Pflänzchen zu keimen beginnen, wenn das Rosenbeet überquillt vor Duft und Blüten ...

Überhaupt: Duft und Blüten! Ich glaube, ein ganz wichtiger Aspekt der Heilwirkung, die der Garten auf mich hat, liegt in seiner Sinnlichkeit. Als „fürsorgliche Realistin“ gehöre ich ja zu den „praktischen“ Typen und nehme am besten und intensivsten über meine Sinne wahr. Manchmal kommt da der eine oder andere im Arbeitsalltag ganz schön zu kurz, wenn ich viel vor dem Computer oder in Klientengesprächen sitze. Aber nicht im Garten! Immer gibt es irgendwas Schönes zu sehen: im Frühling sind die vorherrschenden Farben bei uns zum Beispiel gelb und blau - nichts Herrlicheres an einem grauen Januartag, als die ersten leuchtenden Winterling-Köpfchen im Beet zu entdecken! Oder der Herbst, wenn der Wilde Wein sein Feuerwerk aus roten und orangenen Tönen an der Gartenmauer abbrennt. Die Nase kommt auch nicht zu kurz, dafür hat schon mein Mann mit seiner Vernarrtheit in Bienen und Hummeln gesorgt, schließlich müssen die bei uns immer was finden können. Überall duftet irgendwas, und wenn es gerade keine Blüten sind, dann doch bestimmt der Salbei, Rosmarin und Lavendel aus dem Gewürzbeet oder das frisch geschnittene Gras. Zu hören gibt es die Bienen und Hummeln übrigens auch im Sommer, dazu noch die Vögel, die gerne in unseren alten Bäumen und dem Efeubusch an der Scheune nisten, und seit diesem Frühjahr auch noch einen Mini-Brunnen direkt am Teich, der vor sich hin plätschert. Und schmecken lässt sich der Garten auch gern: jetzt gerade die Holunderblüten, mit denen man so viel anfangen kann, später im Sommer dann die Himbeeren, Birnen und sogar Feigen - das Privileg derer, die wie wir in der Toskana Deutschlands leben dürfen!

Aber das Wichtigste für mich bei allem ist, glaube ich, doch das Fühlen: den Wind, die Sonne, die Textur der verschiedenen Pflanzen und Blüten und vor allen Dingen die warme, feuchte Erde, in der ich so leidenschaftlich herumbuddele. Mein Mann kennt das schon, wenn wir im Winter, wenn alles ruht und ich gartentechnisch „auf Entzug bin“, über die Felder spazieren gehen: dass ich, wenn ich an den tief gepflügten Ackerfurchen vorbei laufe, ganz zappelig werde vor Lust, einfach die Hände in die fette, dunkelbraune Erde zu graben. „Realisten“ gelten ja als sehr bodenständig und erdverbunden, und auf mich trifft das auf jeden Fall zu. Viele Jahre, als wir noch keinen Garten hatten, sondern in Miets-wohnungen lebten, gab es immer eine einzige Bedingung von mir: Balkon! Zumindest ein paar Kästen mit Erde und Blumen mussten es sein, die ich beackern konnte, sonst weigerte ich mich strikt, irgendwo einzuziehen. Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer - alles verhandlungsfähig, aber nicht der Balkon! Instinktiv muss ich damals schon gewusst haben, dass mir sonst eine ganz wichtige, unersetzliche Ressource abhanden käme.

Tiefenpsychologen sehen die Erde übrigens gerne als das Symbol für das Unbewusste, quasi die Wurzel der Psyche, oft auch durchaus angstbesetzt, denn schließlich kann in der Erde alles mögliche Bedrohliche lauern - bis hin zum christlichen Höllenfeuer. Andererseits gilt sie seit jeher in vielen Kulturen als das Symbol des weiblichen Prinzips: sie empfängt, nimmt auf - den Samen, den Regen, das Licht - und gibt wieder, indem sie nährt und die Pflanzen wachsen lässt. Und am Ende des Lebenszyklus nimmt sie alle und alles wieder auf: die Pflanzen, die Tiere, die Menschen. Die Erde ist Sinnbild für den Kreislauf von Leben und Tod; in ihr beginnt alles und endet alles. Sie war vor uns da und wird lange noch da sein, wenn wir nicht mehr sind, als Individuum ebenso wie als ganze Rasse. Kein Wunder, dass die Metapher von der „Mutter Erde“ in so vielen Kulturen zu finden ist. „In der Natur schrumpfen unsere Allmachtsgefühle.“, sagt der Psychoanalytiker Rolf Haubl. „Man erkennt, dass die natürliche Ordnung größer ist als die kulturelle. Auch das kann eine tiefe Sehnsucht befriedigen, nämlich mit einem übergeordneten Ganzen eins zu werden. Das kann Trost und Geborgenheit spenden.“

Erde verbindet uns mit der Realität. Den Begriff „sich erden“ für „zur Ruhe kommen“ kennen mittlerweile nicht nur Elektriker, und er hat viel für sich. Auch das ist etwas, was ich als „Realistin“ sehr zu schätzen weiß. Haubl meint dazu: „Natur wirkt auf die Psyche wie eine Bremse. Wenn sich der Mensch in der Natur aufhält, erdet er sich, die Wirklichkeit wird wieder fassbar. Er vergewissert sich seiner selbst und kann in einer Welt ohne feste Werte neue Sicherheit finden.“

Wenn ich da draußen am Wirken bin, weiß ich, dass ich Anker geworfen habe, ich weiß aber auch, dass ich mich einfügen und dem Rhythmus der Natur anpassen muss, nicht umgekehrt. Manchmal kann man ein bisschen tricksen, mit Gewächshaus und Vortreiben auf der Fensterbank, aber insgesamt gilt immer noch die alte Weisheit: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Mein ungeduldiger Anteil muss sich fügen und das vorgegebene Tempo akzeptieren. Mein Hang, alles unter Kontrolle und auf Erfolgskurs zu haben, muss zurücktreten vor einem Hagelschauer im August, der meine Himbeeren von den Sträuchern schlägt oder dem Sturm Anfang der Woche, dem unser Pflaumenbaum nicht standhalten konnte. Und mein fürsorglicher Anteil muss akzeptieren, dass in jedem Spätherbst die Stauden sich in sich selbst zurückziehen und ich nur darauf vertrauen kann, dass sie im nächsten Frühjahr trotz Frost, Schnee und anderer Gefahren wiederkommen werden.

Das ist gut für mich. Es bringt mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Es nimmt mir das Gefühl, alles lenken und in Ordnung bringen zu können (und zu müssen!), das Gefühl, für alles und jedes die Verantwortung zu tragen. „Hab Vertrauen!“, sagt der Garten zu mir. „Genieße, aber halte nicht fest. Pflege, aber glaube nicht, dass du besitzt. Freu dich, aber werde nicht hochmütig. Und nimm dich selbst nicht so wichtig. Ich war vor dir da, ich werde nach dir da sein.“

Wenn ich nach so einem Gartentag ins Haus zurückkomme, müde, dreckig und mit Rückenschmerzen und Dornen in den Fingern, dann bin ich wieder in meiner eigenen Mitte angekommen. Meine Probleme sind nicht verschwunden, aber sie blähen sich auch nicht mehr unangemessen auf und beanspruchen allen Platz für sich. Ich weiß, dass es irgendwie weitergehen wird und dass nach dem Winter auch wieder der Frühling kommt, wenn ich Geduld habe. „Was die Raupe das Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling“, sagte Laotse.

Ich stelle eine frisch geschnittene Rose auf meinen Praxistisch und denke: Ich sollte wieder öfter Gartentage machen ...

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