Heiraten? Oder lieber nicht?



Auch, wenn der Wonnemonat Mai sich vergangene Woche leicht unterkühlt und verregnet präsentierte: die Zeitschriftenständer quellen wie jedes Jahr um diese Zeit über vor Magazinen, bei denen es das Thema Hochzeit auf die Titelseite geschafft hat. Von „Cosmopolitan“ bis „Petra“ - alle schreiben mal wieder über den schönsten Tag im Leben, was ihn ausmacht, wie man ihn am besten gestaltet, und wie man „ihn“ geschickt dazu bringt, die magische Frage zu stellen (oder diese auch als Frau am besten gleich selber stellt). Und dann haben wir ja dieses Jahr auch noch das schöne Datum am 7.7.2007 vor uns: Schnapszahl, Samstag, der ideale Termin für die Feier, damit selbst der wirrköpfigste Bräutigam in den nächsten fünfzig Jahren den Hochzeitstag nicht vergisst! Die Standesämter schieben Sonderschichten, auch wenn die Statistiker warnend den Finger heben, denn bei Paaren, die an einem Schnapszahl-Datum heiraten, besteht (rein statistisch betrachtet, versteht sich!), ein besonders hohes Trennungsrisiko. Normale Ehen halten durchschnittlich 8 - 9 Jahre, Schnapszahl-Ehen aber nur 3 - 4 Jahre. Aber wen interessieren schon solche Werte, wenn der Himmel voller Geigen hängt und die Frage „champagner oder rein weiß?“ immer noch nicht endgültig entschieden ist?

Die Frage, ob Heiraten in einer Zeit, in der die Scheidungszahlen stetig steigen und Richtung 50:50 tendieren, drängt sich natürlich auf. Es ist ja auch ganz schön chic und cool, wenn man wie Goldie Hawn herablassend sagt: „Trauschein? Brauchen wir nicht. Wir sind auch so glücklich.“ Klingt fast ein bisschen so, als ob denen, die zum Standesamt marschieren, da irgendetwas fehlen würde, das dann künstlich qua Rechtsbeschluss hinzugefügt werden muss. Defizitär eben. Wahre Liebe braucht doch keine Paragrafen. Oder?

Paragrafen vielleicht nicht, aber etwas anderes, möchte ich meinen. Anthropologen, Soziologen und Psychologen werden immer gern hellhörig, wenn sich ein bestimmtes Ritual oder eine bestimmte Verhaltensweise unabhängig voneinander in vielen verschiedenen Kulturen entwickelt und etabliert hat. Mit Hochzeiten (oder ihren Äquivalenten) ist das so. Fast überall gibt und gab es eine Zeremonie, mit der Paare in irgendeiner Form „offiziell“ ihre Zusammengehörigkeit deklarieren. Offenbar gibt es da ein kultur- und zeitunabhängiges Bedürfnis, das damit befriedigt wird. Aber welches? Und hat das heute noch seine Berechtigung, oder hat es sich mittlerweile vielleicht doch endgültig überlebt? Man kann doch heute problemlos auch so zusammen leben und auch Kinder bekommen. Ändert sich überhaupt noch etwas, wenn Paare heiraten?

Ja, meint zumindest Hans Jellouschek, Paartherapeut und Autor zahlreicher Bücher zu diesem Thema. Selbst nach vielen Jahren „wilder Ehe“ hat das offizielle Ja zueinander in den allermeisten Fällen einen tiefen psychologischen Effekt auf die beiden Beteiligten. Es schafft eine Verbindlichkeit, eine neue Klarheit innerhalb der Beziehung und gibt eine Antwort auf die Frage: Wer bin ich eigentlich für den anderen? So lange ich der „Partner“, die „Lebensgefährtin“ oder der „Freund“ bin, schwingt da immer ein „vielleicht“ mit im Raum, ein Hauch von Vorbehalt, ein Verfallsdatum. (Nicht umsonst wird „Lebensgefährte“ ja gerne auch zu „Lebensabschnittsgefährte“ verballhornt.) Mit der Eheschließung verschwindet dieses „Vielleicht“ und verwandelt sich in ein Versprechen der Dauerhaftigkeit. Ob dieses Versprechen gehalten werden wird, ist eine andere Frage - aber es wird zumindest einmal gegeben. Eine Absichtserklärung, ein bedingungsloses und rückhaltloses Ja zur Person des anderen: „Ja, mit dir möchte ich den Rest meines Lebens zusammenbleiben. Du bist der / die Wichtigste für mich. Lass uns zusammen alt werden.“

Das Bedürfnis nach Bindung ist eines der stärksten Bedürfnisse, das uns Menschen eigen ist. Schon als Babys setzen wir alles daran, unsere Bezugspersonen an uns zu binden (die Idee vom Säugling als hilf- und ahnungslosem Wesen ist lange überholt; heute weiß man, wie aktiv und zielstrebig Neugeborene vom ersten Moment an daran arbeiten, Gefühle und Aufmerksamkeit der Mutter zu wecken und zu fesseln). Im Laufe unseres Erwachsenwerdens streben wir neben der Bindung natürlich auch zunehmen nach Autonomie, nach Unabhängigkeit von anderen Menschen. (Jede Mutter kennt das, wenn das eigene Kind das erste Mal die helfende Hand abschüttelt - lass es mich alleine tun, Mama!) Aber nur in einer ausgewogenen Balance zwischen Bindung und Autonomie fühlen wir uns dauerhaft glücklich und zufrieden. So wichtig Eigenständigkeit für uns ist, so wichtig ist doch auch das Gefühl, mit jemand anderem eine intensive, dauerhafte Beziehung zu führen, sich geliebt, geschätzt und gebraucht zu wissen. An anderer Stelle habe ich schon einmal kurz über die Ergebnisse der Bindungsforschung geschrieben und über die unterschiedlichen Bindungsstile, die wir in unserer Kindheit entwickeln. Untersuchungen zeigen, dass in diesem Sinne „sicher“ gebundene Kinder sich meist leicht damit tun, auch in ihrem späteren Leben verbindliche Beziehungen einzugehen; sie heiraten auch eher. „Unsicher“ gebundene Kinder dagegen behalten oft ein Leben lang eine tief sitzende, meist unbewusste Angst vor enger und langfristiger Bindung, obwohl sie gleichzeitig danach suchen. Ihre Erfahrungen mit diesem Thema sind zu ambivalent, als dass sie sich ganz und gar auf einen anderen Menschen einlassen könnten - zu riskant! Eine nicht-offizielle Partnerschaft ist für solche Menschen dann manchmal eine Art Ausweg, so eine Methode, den Kuchen aufzuessen und ihn trotzdem zu behalten: Sie haben jemanden, der ihr Bedürfnis nach Bindung befriedigt, müssen sich aber ihrer Angst vor einer möglichen Enttäuschung nicht im vollen Umfang stellen und sich auch nicht mit den vielleicht schmerzlichen früheren Erfahrungen auseinandersetzen. Also behalten sie lieber den Schwebezustand auf Dauer bei, da der ihnen ungefährlicher erscheint.

Für „spontane“ Persönlichkeitstypen ist es ebenfalls oft schwer, sich dauerhaft auf einen Partner festzulegen - man lässt ja vermeintlich mit diesem Schritt unendlich viele andere mögliche Optionen den Bach hinuntergehen! Suggerieren uns doch Medien und Gesellschaft heute ständig, das uns jeder mögliche Partner weltweit zur Verfügung steht, und treiben damit die Zahl theoretischer Alternativbeziehungen in die Millionen. Ob uns da nicht etwas durch die Lappen geht, wenn wir uns nicht ein Hintertürchen offen halten und stattdessen das Fangeisen über den Finger streifen?

Und dann gibt es da noch diejenigen, die innerlich die Frage nach dem „willst du ...?“ für sich still und heimlich (und oft genug ganz unbewusst!) eigentlich längst mit einem „nein“ beantwortet haben. Nein, ich will nicht - zumindest nicht fürs ganze Leben und nicht unbedingt (also in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut ...). So lange alles gut läuft, so lange ich nichts Besseres finde, so lange du mir nützlich bist, so lange du meinen Vorstellungen in Aussehen und Verhalten entsprichst, so lange schon, aber nicht länger. Denn die Frau / der Mann meiner Träume bist du eigentlich nicht, aber ehe ich alleine bleibe und/oder (deinen und meinen) Schmerz einer Trennung ertrage, bleibe ich doch lieber vorerst mit dir zusammen. In Paartherapien erlebe ich das ganz oft, dass es ein Partner einfach nicht übers Herz bringt, den anderen mit der bitteren Wahrheit zu konfrontieren, dass es „fürs Leben“ einfach nicht reicht: zu viel Angst vor Tränen, Szenen, Gefühlsausbrüchen. Zu viel Angst, als der Schuft dazustehen, der (vielleicht nach langer Zeit erst) den anderen sitzen lässt, der dem Schock und der Verachtung der Freunde und Familie ins Auge sehen muss. Nein, da lassen wir es lieber noch ein bisschen vor sich hin plätschern, auch wenn es nicht so toll ist. Zumindest, bis eine scheinbar bessere Alternative in Form eines neuen Partners in Sicht ist.

Oft sind es die Frauen, die - offen oder unterschwellig - irgendwann mit diesem Schwebezustand unzufrieden werden. „Cosmopolitan“ bemüht zur Erklärung dafür die Evolutionspsychologie: Natürlich waren Frauen Jahrtausende lang besonders daran interessiert, den potenziellen Vater ihres Kindes dauerhaft an sich zu binden; erhöhte das doch ihre eigenen und die Überlebenschancen ihres Babys um ein Vielfaches während der Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren des Kindes. Da die weibliche „Investition“ in einen Nachkömmling so viel höher war (und ist) als die männliche - neun Monate Schwangerschaft mit nur einem einzigen Sprössling, danach die Zeit des Stillens und der kritischen Kleinkindphase - war es aus weiblicher Perspektive auch ungleich wichtiger, dass dieser eine Träger der eigenen Gene bitte unbedingt auch das Erwachsenenalter erreichen und die Gene weiterreichen möge. Aus männlicher Sicht dagegen war das zwar ebenfalls wünschenswert, aber da der Aufwand sich ja sehr in Grenzen hielt, bis das Kind gezeugt war, konnte sich der Mann auch auf seine Breitenwirkung verlassen - je mehr Frauen er befruchtete, umso höher die Chance, dass mehrere seiner Nachkommen schon irgendwie durchkamen, mit oder ohne seine aktive weitere Unterstützung. Was Wunder, dass ein Heiratsantrag gerade uns Frauen heute immer noch dieses verzückte Glitzern in die Augen zaubert? Trotzdem, als Erklärung reicht es nicht ganz aus, denn viele Frauen entscheiden sich heute ohnehin bewusst gegen Kinder, und selbst jene, die gerne eine Familie gründen wollen, sind sich im Klaren, dass sie eigentlich keinen Ernährer und Beschützer gegen die wilden Tiere mehr brauchen, um das zu tun. Außerdem werden auch viele Männer irgendwann unzufrieden mit der unverbindlichen Beziehungssituation und kommen dann früher oder später ganz von alleine und ohne weibliche Finessen auf die Idee, die magischen vier Worte auszusprechen. Der Wunsch nach dem unbedingten, uneingeschränkten „Ja“ zu mir bzw. von mir zu einer anderen Person scheint seine Wurzeln also nicht nur in unseren Genen, sondern irgendwo tiefer in unseren Seelenregionen zu haben. Vielleicht auch der Wunsch danach, in unserer rationalen, emotional unterkühlten und versachlichten Welt wenigstens für einen Augenblick das Gefühl über den Verstand und die Zuversicht über den Zweifel, die Romantik über die Vernunft triumphieren zu lassen. Daran zu glauben - und sei es nur für einen Moment -, dass „und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende“ doch eine Möglichkeit ist.

Wie diese Verbindlichkeit der Partnerschaft deklariert wird, ist übrigens weniger wichtig. Es muss keineswegs immer das Standesamt und/oder die Kirche sein; oft genug gibt es gute Gründe, die gegen eine oder beide der Alternativen sprechen. Wichtig ist lediglich, dass ein Ritual stattfindet, das darauf ausgelegt ist, den Willen zur dauerhaften Verbindlichkeit zum Ausdruck zu bringen - und zwar öffentlich. Das Modell der Trauzeugen hat schon seinen Sinn. Sich einander im stillen Kämmerlein seine Liebe zu gestehen, ist eine Sache, aber dies sozusagen vor den Augen der Welt zu tun, eine ganz andere und wesentlich gewichtigere. Auch eine rechtliche Konsequenz in irgendeiner Form gehört dazu, sonst bleibt das Ganze ja ein blankes Lippenbekenntnis. Aber all das kann man mittlerweile auch außerhalb der konventionellen Wege gut machen - für einen Partnerschaftsvertrag braucht es vielleicht nur einen Notar oder Rechtsanwalt, und ich habe in den letzten Jahren mehr als eine Hochzeitsfeier erlebt, bei der weder ein Pfarrer noch ein Standesbeamter zugegen waren, die aber dennoch in ihrer Bedeutsamkeit und ihrem Ausdruck nicht weniger anrührend waren (manchmal dachte ich, sogar mehr!). Ein ganz persönlich vom Paar erdachtes und gestaltetes Ritual, vielleicht unterstützt von einem freien Redner oder freien Theologen, an einem für das Paar bedeutsamen Ort, im Kreis von Freunden und Familie - das hat schon was sehr Besonderes und Bewegendes. „Wir Menschen brauchen Symbole, damit das, was wir ausdrücken wollen, ‚wirklich‘ wird“, sagt Jellouschek. „Die Trauung ist ein angemessenes Symbol, um diesen Willen zur Verbindlichkeit auszudrücken.“ Umso schöner finde ich es, wenn Paare sich bei der Gestaltung ihres ganz persönlichen Rituals so viel wie möglich einbringen und nicht einfach alles so machen, wie es von Institutionen oder Traditionen vorgegeben ist.

Und was, wenn ein Partner gerne heiraten möchte, der andere aber immer ausweicht oder abwehrt? Als Paartherapeutin gibt mir das immer zu denken. Ich frage auch ganz oft nach, wenn Paare nicht verheiratet sind, aber schon lange zusammen leben, warum sie diesen Schritt noch nicht getan haben. Manchmal ist das wie ein Stich in ein Wespennest - oft bricht dann einer der beiden in eine lange Tirade über die Unsinnigkeit der Ehe in heutiger Zeit aus, darüber, dass man den anderen ohnehin nicht besitzen könne und dass das ein kindisches Sicherheitsstreben sei, das Garantie vorspiegele, wo es keine geben könne. Oder - auch sehr beliebt - ich bekomme eine lange Liste von steuerlichen oder sonstigen praktischen Nachteilen aufgezählt, die eine Eheschließung für einen oder beide Partner mit sich brächte. Ich höre mir das dann immer ganz geduldig an und frage nach, wie es denn mit einem privaten Ritual aussieht, das den Verbindlichkeitscharakter der Beziehung zum Ausdruck bringen könnte. Manchmal schauen sich die beiden dann an und beginnen zu strahlen, weil sie auf die Idee noch gar nicht gekommen sind, und dann dauert es meist nicht lange, bis es zum Beispiel mindestens gravierte Ringe gibt, eine Art „Flitterwochentrip“ geplant wird oder die ersten Pläne für ein großes Fest geschmiedet werden. Manchmal rutschen einer oder beide Partner bei diesen Fragen aber auch einfach zunehmend unbehaglich auf dem Sessel herum - und auch das sagt mir dann eine ganze Menge. Dann weiß ich, dass es so einiges an Klärungs- und Arbeitsbedarf gibt, und das hat sich noch in jedem Fall bewahrheitet. An anderer Stelle habe ich schon mal was über die Bedeutung von Ritualen in Beziehungen geschrieben - eine der wichtigsten Funktionen dabei ist, dass sie feine Seismographen dafür sind, wie die Beziehung läuft. Und das gilt für das Thema Heirat und Verbindlichkeit in ganz besonderem Maße, davon bin ich fest überzeugt.

Übrigens waren wir gestern Abend mit ein paar Freunden noch auf einer Ü-30-Party, mal wieder so richtig abtanzen. Die Stimmung war prima, alle hatten eine Menge Spaß. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, zauberte eine Freundin eine Flasche Sekt und Gläser hervor und begann einzuschenken. Als ich sie fragte, was wir denn jetzt zu feiern hätten, strahlte sie mich an und hob zur Antwort einfach die linke Hand, an der ein nagelneuer Verlobungsring saß. Und was soll ich sagen ... irgendwie „war der Schnee“ von diesem Moment an auch für uns andere „einfach noch ein bisschen weißer“ ...

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