Wer leben will, muss sterben lernen



Der voraussichtlich wärmste November seit Aufzeichnung der Wetterdaten neigt sich schon wieder seinem Ende entgegen. Hinsichtlich der Temperaturen können die meisten von uns sich wirklich nicht beklagen, war es doch vielerorts möglich, mittags noch mal im Freien einen Kaffee zu trinken und wenn die Wetterfrösche Recht haben, erwarten die Privilegierten im Südwesten Deutschlands am Wochenende noch mal sensationelle 20 Grad! Trotz gelegentlicher ausgiebiger Regengüsse hie und da also wettertechnisch ein eher Gute-Laune-November 2006. Das ist ja für diesen Monat eher außergewöhnlich. Eine Umfrage des WDR im letzten Jahr stellte fest, dass der November bei den Deutschen der unbeliebteste Monat überhaupt ist. Neben der Tatsache, dass er ja sonst eher mit Nebel, Regen und Kälte aufwartet als in diesem Jahr, mögen die Befragten auch die Umstellung auf die Winterzeit und den damit noch früheren Einbruch der Dunkelheit an den ohnehin kurzen Tagen nicht. Und schließlich trägt der elfte Monat des Jahres nicht von ungefähr den Beinamen „Totenmonat“, beginnt er doch mit gleich zwei (katholischen) Gedenktagen für die Verstorbenen, nämlich Allerheiligen und Allerseelen; letzten Sonntag folgte dann der Volkstrauertag zur Erinnerung der im Krieg Gefallenen und kommenden Sonntag steht uns noch der Totensonntag bevor, der evangelische Gedenktag für die Verstorbenen. Selbst wer Friedhöfe beharrlich meidet und über derartige kalendarisch verordnete Traueranlässe forsch hinwegsieht, kommt nicht darum herum, im November allerorten über Zeichen der Vergänglichkeit und des Sterbens zu stolpern - seien es nun die fallenden Blätter der Bäume, die kahl werdenden Sträucher oder die zunehmend verschwindende Blumenpracht des Sommers. Es gehört schon viel dazu, sich nicht irgendwann im Laufe dieses Monats auch mal mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert zu sehen; und das ist ja für die meisten Menschen kein sonderlich erfreulicher Gedanke. Kein Wunder, dass dieser Monat in der Beliebtheitsskala ganz unten rangiert; kein Wunder, dass man versucht, mit Bräuchen wie dem immer populäreren Halloween-Treiben oder dem Beginn der Fasnacht am 11.11. frech-fröhliche Gegengewichte gerade in dieser düsteren Zeit zu schaffen.

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Tod und Sterben sind gerade in unserer Kultur ein Tabuthema geworden. Früher gehörten sie viel selbstverständlicher zum alltäglichen Leben dazu. Die meisten Menschen starben zu Hause, nicht wie heute in Krankenhäusern oder Hospizen. Man bahrte die Verstorbenen im Haus auf, hielt die Totenwache neben ihnen, gemeinsam mit Verwandten, Nachbarn und Freunden. Der Tod war Teil des normalen Lebens, ebenso wie die Geburt. Das ist heute nicht mehr so. Wer jemals in Varanasi (Benares) in Indien war, weiß, wie ganz anders z. B. die dortige Kultur mit dem Tod umgeht. Varanasi ist die wichtigste der heiligen Städte der Hindus; hier können sich Pilger durch ein Bad im Ganges von ihren Sünden reinigen. Gleich neben den Badenden brennen die Scheiterhaufen, auf denen die Toten eingeäschert werden. Ihre Asche wird in den Fluss gestreut, denn in Varanasi zu sterben und verbrannt zu werden, befreit einen Hindu vom Rad der Wiedergeburt. Für Menschen unseres Kulturkreises erst mal ein schockierender Anblick. Wir haben es lieber, wenn wir nicht so oft an unsere eigene Vergänglichkeit erinnert werden und uns professionelle Helfer in Weiß oder respektvoll schweigende Bestattungsunternehmer die Beschäftigung mit unseren Sterbenden und Toten abnehmen. Die meisten von uns leben ihr Leben, als gäbe es keinen Tod. Müssen wir ihm gezwungenermaßen ab und zu ins Gesicht sehen - weil wir an einer Beerdigung teilnehmen, weil ein Prominenter stirbt oder eine Naturkatastrophe plötzlich Tausende das Leben kostet, fühlen wir uns unbehaglich und wenden uns so schnell wie möglich wieder ab.

Verständlich, aber auch gefährlich. Philosophen und Psychologen aller Zeiten haben sich immer wieder mit der Bedeutung des Todes für das menschliche Leben auseinandergesetzt, und kommen - wenn auch aus verschiedenen Richtungen - alle zu demselben Schluss: Wer wirklich gut Freund mit dem Leben ist, der ist meist auch gut Freund mit dem Tod. Nicht im Sinne eines Dauergrübelns, einer düsteren Melancholie oder gar depressiver Verzweiflung. Sondern im Sinne einer Bewusstheit, dass seine Zeit auf der Welt begrenzt ist und dass es daher darauf ankommt, diese Zeit sinnvoll zu nutzen, um schließlich auf ein gelungenes Leben zurückblicken zu können. Wer sich immer wieder einmal den Gedanken an den Tod erlaubt, bekommt einen besseren Blick dafür, was in seinem Leben wirklich zählt (und zählen soll!), trifft Entscheidungen aus einer anderen Haltung heraus und geht mit sich und seinen zwischenmenschlichen Beziehungen achtsamer um. Der Tod bewahrt das Leben davor, gleichgültig, sinnlos, weil unendlich zu werden. Er erzeugt den notwendigen Druck, vor dessen Hintergrund sich Maßstäbe bilden können für das, was wichtig und was weniger wichtig, was gut und was schlecht ist. Er kann einen auch gelassener machen angesichts der kleinen Widrigkeiten des täglichen Allerleis, über die wir uns oft viel zu sehr aufregen und denen wir damit eine Bedeutung verleihen, die ihnen gar nicht zukommt.

Aus dem „Book of the Craft of Dying“ stammt der Satz: „Lerne zu sterben, und du wirst lernen zu leben, denn niemand wird lernen zu leben, der nicht gelernt hat zu sterben.“ Und Mozart schrieb im Alter von 31 Jahren an seinen Vater: „Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht, so jung als ich bin, den andern Tag nicht mehr sein werde. - Und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre.“

Jeden Tag - das ist vielleicht ein bisschen viel und für die meisten von uns zu anstrengend. Trotzdem kann es eine gute Richtschnur im eigenen Leben sein, sich - Spaßgesellschaft hin oder her - immer mal wieder klar zu machen, dass es eines Tages zu Ende sein wird und dann unumkehrbar feststeht, ob man das erreicht und gelebt haben wird, was man sich selbst gewünscht hat und was für einen selbst Glück bedeutet hat; ob man seine Möglichkeiten voll genutzt und entfaltet hat; ob man etwas von sich zurücklässt, wenn man geht, das Bestand haben wird und worauf man stolz sein kann. Oder ob man in der letzten Stunde zurückschauen wird, voll Bedauern ob all der vertanen Gelegenheiten, der unerreichten Ziele, der fehlenden Liebe in den Jahren, die man zur Verfügung hatte. „Am Grab der meisten Menschen trauert, tief verschleiert, ihr ungelebtes Leben“, soll Georg Jellinek einmal gesagt haben. Vielleicht sollten wir dem November mit seiner Düsternis und seinen Totengedenktagen ein bisschen dankbarer sein, dass er uns mit der Nase darauf stößt, wie wichtig es ist, nicht dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.

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