To do or not to do ... Vom kreativen Umgang mit Zweifeln und Ambivalenzen



Zu manchen Zeiten habe ich das Gefühl, dass sich in der Arbeit mit Klienten bestimmte Themen irgendwie weiter in den Vordergrund drängen als andere. Derzeit sind es vor allem Entscheidungsfragen, innere Konflikte und daraus resultierende Handlungsblockaden, die viele Menschen umtreiben, mit denen ich arbeite. Die Inhalte sind dabei ganz unterschiedlich; das reicht von der Frage nach dem Umzug in eine andere Stadt über die Qual der Wahl zwischen zwei Studienfächern, die Entscheidung „bleiben oder gehen?“ in einer Beziehung bis hin zu der Überlegung „zweites Kind ja oder nein?“. Immer aber ist das - vorübergehende - Ergebnis dasselbe: die Unfähigkeit, angesichts zweier (nur auf den ersten Blick oder auch wirklich) gleichermaßen attraktiver oder unattraktiver Möglichkeiten zu einer Entscheidung und damit zu einer Handlung zu kommen.

Wahrscheinlich kennt das jeder von uns in der einen oder anderen Weise; denn das gehört einfach zum Menschsein. Gunther Schmidt, ein deutscher Arzt und Pionier der systemischen Therapie, hat es mal schön auf den Punkt gebracht: „Leben ist gelebte Ambivalenz.“ Im Grunde tun wir unser ganzes bewusstes, selbstbestimmtes Leben nichts anderes, als uns - im Großen wie im Kleinen - von einer Entscheidung zur nächsten zu hangeln. Das rote oder das blaue T-Shirt? Tee oder Kaffee? Studieren oder Ausbildung? Land- oder Stadtleben? Heiraten oder trennen? Und .. und .. und ... Unser ganzes Dasein kristallisiert sich nach und nach aus unzähligen Entscheidungen heraus; manche natürlich sehr banal und kaum als solche wahrgenommen, andere schwer wiegend und unumkehrbar in ihren Folgen. Und wenn man genauer darüber nachdenkt, stellt man fest, dass jede Entscheidung immer Vor- und Nachteile mit sich bringt. Eine Entscheidung, die ausschließlich positive Folgen hat, gibt es nicht. Zumindest bedeutet sie immer den Verzicht auf andere, ebenfalls vorhandene Alternativen.

Wenn ich mich z. B. für eine Partnerschaft entscheide, verabschiede ich mich damit von den Vorzügen des Singledaseins (Unabhängigkeit, Freiheit usw.) ebenso wie von der Möglichkeit, mit den unzähligen anderen Partnern, die es noch auf der Welt für mich geben könnte, eine Beziehung anzufangen. (Was dabei rauskommt, wenn man versucht, den Kuchen zu essen und gleichzeitig zu behalten, sieht man gerade in dieser Hinsicht natürlich auch immer wieder - es klappt in der Regel nicht.) Wenn ich mich für ein Kind und die damit verbundenen Freuden entscheide, muss ich die „Kröten“, die dazu gehören, halt ebenfalls schlucken: durchwachte Nächte, weniger Ungebundenheit, finanzielle Belastungen, Sorgen ... Und wenn ich mich für das Biologie-Studium entscheide, weil mich das Lehramt reizt, dann werde ich nie erfahren, ob nicht vielleicht doch eine bessere Zahnmedizinerin aus mir geworden wäre, wenn ich es versucht hätte.

Im Regelfall treffen wir unsere Entscheidungen mehr oder weniger schnell, nach mehr oder weniger gründlichem Überlegen und Recherchen, mit mehr oder weniger Überzeugung oder Bauchschmerzen dabei - aber wir treffen sie. Sonst könnten wir ja nicht weitermachen mit unserem Leben. Ganz heftig bekommen das Menschen zu spüren, die z. B. an Zwangsstörungen leiden. Die Frage: „Hab ich den Herd abgeschaltet oder nicht?“ kann jemanden mit einem Kontrollzwang komplett daran hindern, das Haus zu verlassen, weil er selbst nach dem hundertsten Mal Überprüfen nicht davon überzeugt ist, dass die Platten aus sind. Sehr zentral und lebensblockierend (im buchstäblichen Sinne) sind Entscheidungen auch für essgestörte Menschen. Die Frage nach Nahrungsaufnahme - ja oder nein, und wenn ja: was und in welcher Menge? - bestimmt bei vielen von ihnen den ganzen Tagesablauf und einen Großteil ihrer Gedanken. Viel Zeit und Energie, die da gebunden ist und nicht für andere Dinge eingesetzt werden kann.

Das sind natürlich Extremfälle, ganz klar. Aber auch für uns als „Otto Normalverbraucher“ kann die Wahl zwischen zwei Alternativen sehr anstrengend und langwierig werden: dann, wenn sie uns beide gleich attraktiv (oder unattraktiv) erscheinen, dann, wenn zwar eine Alternative sehr attraktiv ist, aber auch einen hohen Preis von uns fordert (z. B. einen Umzug mit dem Verlust aller sozialen Beziehungen) oder auch dann, wenn es uns schwer fällt abzuschätzen, welche komplexen Folgen die Alternativen langfristig vermutlich nach sich ziehen werden. Und last but not least gibt es natürlich auch einfach Persönlichkeitstypen, denen Entscheidungen einfach schwerer fallen als anderen. Alle diejenigen, die „spontan“ orientiert sind (also alle Macher, der spontane und der verträumte Idealist sowie der innovative und der analytische Denker), halten sich besonders gerne möglichst lange alle Optionen offen und verabschieden sich nur ungern von ungelebten Möglichkeiten.

Ich möchte dir heute eine eigentlich ganz einfache Technik vorstellen, die ich in der Therapie in solchen Situationen gerne einsetze, die du aber auch sehr gut für dich alleine durchführen kannst. (Nur, wenn es sich um wirklich ganz schwer wiegende und hoch emotionale Entscheidungen handelt, kannst du ja trotzdem mal drüber nachdenken, ob du dir dafür professionelle Unterstützung suchst.) Sie nennt sich die Zwei-Stühle-Technik (wenn es mehr als zwei Alternativen sind, zwischen denen du schwankst, brauchst du auch mehr Stühle, aber ich würde dir von mehr als drei eigentlich abraten, sonst wird es zu schwierig alleine).

Versuche zunächst, die beiden Alternativen, zwischen denen du dich entscheiden willst / musst, möglichst genau zu formulieren - ihnen sozusagen eine Überschrift zu geben. Nehmen wir an, du bist dir nicht sicher, ob du deinen Partner verlassen oder bei ihm bleiben sollst. Dann hättest du also einen „bleiben“- und einen „gehen“-Stuhl. Positioniere die beiden Stühle in einigem Abstand voneinander im Raum und entscheide, welcher Stuhl welche Alternative repräsentieren soll. Dann setzt du dich auf den „bleiben“-Stuhl und nimmst dir eine Weile Zeit, dich innerlich mit dieser - und nur dieser! - Alternative zu beschäftigen. Ruf dir alle Argumente ins Gedächtnis, die für diese Alternative sprechen: vielleicht, dass ihr schon lange zusammen seid, die Punkte, in denen ihr euch gut versteht, finanzielle und praktische Gründe, die eventuell dafür sprechen, ein gemeinsames soziales Umfeld ...

Welche Motive könnten sich alle hinter dieser Entscheidung verbergen? Geh davon aus, dass die Seite in dir, die für „bleiben“ plädiert, nur das Beste für dich will. Nun stell dir so real, farbig, detailliert und intensiv wie möglich vor, dass du dich tatsächlich für diese Alternative entschieden hast, und mach einen Sprung in die Zukunft, ein Jahr von heute an, fünf Jahre von heute an, zehn Jahre von heute an. Du bist geblieben. Mit allen Konsequenzen. Wie geht es dir? Welche Gedanken löst die Vorstellung in dir aus? Was für Körperempfindungen kannst du wahrnehmen? Welche Emotionen kommen in dir hoch, wenn du dich mit allen Sinnen in diese Situation hineinversetzt? Welche Bilder steigen in dir auf? Wenn du in einer Art „Fotoalbum der Zukunft“ blättern könntest, das Momente deines Lebens zeigt, nachdem du dich für „bleiben“ entschieden hattest, was ist auf diesen Fotos zu sehen? Welche Personen, welche Orte, welche Aktionen? Such dich selbst auf diesen Bildern und betrachte dich. Wie siehst du aus, welchen Gesichtsausdruck zeigst du, wie ist deine Körperhaltung, mit wem zusammen bist du abgebildet? Mit welchen Gefühlen schaust du diese Bilder an - zufrieden, glücklich, ruhig? Oder unzufrieden, unglücklich, angespannt? Nimm dir genügend Zeit, so genau wie möglich in diese Vorstellung einzutauchen und immer wieder auch in deinen Körper hineinzuhorchen, wie dieser auf deine Gedanken reagiert.

Dann wechsele zum „gehen“-Stuhl und lass alles, was für „bleiben“ gesprochen hat, auf dem anderen Stuhl zurück (es ist dort gut aufgehoben und wird nicht abhanden kommen, deshalb bleibt es auch gern dort liegen!). Nun wiederholst du die ganze Prozedur mit allen Argumenten, die für „gehen“ sprechen. Denk wieder daran: Auch diese „gehen“-Seite hat nur dein Bestes im Sinn, will für dich sorgen und dich beschützen! Wieder solltest du dir viel, viel Zeit nehmen, vor deinem inneren Auge möglichst viele und detailgetreue Bilder entstehen zu lassen, die dein Leben zeigen, nachdem du gegangen bist - direkt nach deinem Weggang, aber auch wieder in einem von dir gewählten zukünftigen Rahmen. Du hast deinen Partner verlassen, mit allen zugehörigen Konsequenzen. Achte wieder genau auf deine Gedanken, Vorstellungen, Körperempfindungen und Emotionen, während du dein „Ich bin gegangen“-Fotoalbum der Zukunft betrachtest. Wer ist darin zu sehen? Wer fehlt alles? Wer ist dazugekommen? Wie sehen die Szenerien hier aus? Wie siehst du selbst auf diesen Fotos aus - glücklich, zufrieden, gelöst, unglücklich, einsam, ängstlich ... ?

Je intensiver und ausführlicher du dich in beiden Fällen in deine Befindlichkeiten und Überlegungen hineinversetzt, desto klarer werden die Bilder in dir werden. Bist du auch mit dem zweiten Stuhl fertig und hast deutliche Empfindungen zu dieser Alternative, dann steh auf und stell dich ein Stück von beiden Stühlen entfernt in den Raum. Schau dir beide Stühle noch einmal aus der Distanz an. Zu welchem zieht es dich instinktiv stärker hin? Auf welchem der beiden würdest du jetzt lieber Platz nehmen als auf dem anderen? Mit welchem verbindest du eher angenehme Gefühle, mit welchem eher Unbehagen?

Wenn du dazu für dich eine Antwort gefunden hast, verabschiede dich innerlich von beiden Stühlen und dem Thema - zumindest für diesen Tag. Schlaf eine Nacht darüber. Die Übung ist kein Zaubermittel, aber es könnte sein, dass du durch sie an innere Informationen herankommst, die deiner bewussten Überlegung nicht so leicht zugänglich sind. Und dass du mit mehr Klarheit aufwachst als am Tag davor. Zumindest wünsche ich dir das!

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