Mein blinder Fleck



Auf iPersonic geht es ja immer wieder um die Frage nach der eigenen Persönlichkeit und Identität und darum, wie wir selbst und andere uns wahrnehmen. Dabei ist es eine spannende Frage, ob und inwieweit wir uns selbst eigentlich wirklich gut einschätzen können. Wo sehen wir uns selbst wirklich so, wie wir sind, bzw. so, wie wir auf andere wirken? Und wo können wir uns selbst vielleicht nicht oder nicht so gut wahrnehmen?

Die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung (also dem, wie wir uns selbst sehen und beschreiben würden) und Fremdwahrnehmung (also dem, wie andere uns sehen und beschreiben würden) ist der Psychologie seit langem bekannt. Vielleicht hast du selbst auch schon mal die Erfahrung gemacht, dass jemand dich ganz anders eingeschätzt hat, als du erwartet hättest. Oder umgekehrt: dass du selbst jemanden neu kennen gelernt hast und dir ein Bild von ihm gemacht hast, das nicht mit dessen Selbsteinschätzung übereingestimmt hätte. Wir alle spielen im Umgang mit anderen nun mal auch immer bestimmte „Rollen“ und erzeugen damit ein Bild von uns in deren Augen, das nur teilweise unsere Persönlichkeit widerspiegelt. Wir haben auch alle bestimmte unbewusste Anteile, z. B. Gewohnheiten oder Vorlieben und Abneigungen, die uns selbst oft gar nicht klar sind. Und natürlich gibt es auch bestimmte Aspekte unserer Persönlichkeit, die wir in der Regel sehr sorgfältig vor anderen verbergen - weil sie uns peinlich oder unangenehm sind oder weil wir einfach finden, dass sie die anderen nichts angehen.

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Eine mögliche Darstellungsform für den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ist das so genannte Johari-Fenster. Dabei handelt es sich um ein grafisches Schema zur Darstellung bewusster und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale, das von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph (Jo) und Harry (hari) Ingham entwickelt wurde. Das Johari-Fenster sieht so aus:



Die „öffentliche Person“ meint den Teil unserer Persönlichkeit und unseres Verhaltens, den wir selbst von uns gut kennen, wie wir uns, wenn wir gefragt würden, auch offiziell beschreiben würden, also quasi den Teil, den wir unbefangen und offen anderen Menschen zeigen, wenn wir mit ihnen zusammen sind.

Der Teil „Mein Geheimnis“ dagegen beinhaltet alles das, was wir vor anderen verbergen, weil wir finden, dass er privat bleiben sollte. Dort finden sich z. B. geheime Wünsche oder Gedanken, die wir nicht mit anderen teilen wollen. Selbstverständlich ist dieser Teil jeweils unterschiedlich groß, je nachdem, in welcher Gesellschaft wir uns gerade befinden. Sind wir mit unserem Partner oder vielleicht mit dem besten Freund zusammen, kann er sehr klein werden, weil wir Menschen, denen wir vertrauen, mehr von uns erzählen als Menschen, denen wir eher distanziert gegenüber stehen. Trotzdem bleibt immer und bei jedem Menschen ein kleiner Rest übrig, den nur er allein über sich kennt (und das ist auch gut so!).

Im Feld „Das Unbewusste“ findet sich alles das, was unserem Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglich ist, was aber trotzdem unser Denken und Handeln ganz wesentlich mitbestimmt: unbewusste Ängste, verdrängte Konflikte, Traumata, Triebe, Instinkte und vieles mehr. Will man Sigmund Freud glauben, macht dieser Teil 80 - 90 % dessen aus, was unser Verhalten im Alltag bestimmt. Selbst wenn man nicht ganz so weit gehen möchte, ist wohl jedem klar, dass es viele Situationen gibt, in denen rationales und bewusstes Denken und Handeln eine sehr untergeordnete Rolle spielen und ein anderer Teil unseres Selbst irgendwie das Ruder übernimmt. Der Prozess des Verliebens ist ein gutes Beispiel dafür - oder hast du schon mal ganz rational und vernünftig entschieden, wen du dir als Partner ausgesucht hast? Unser Unbewusstes kennen wir selbst nicht, genauso wenig wie die anderen es von außen an uns wahrnehmen können (höchstens seine Auswirkungen). Um an diese Inhalte überhaupt ein bisschen heranzukommen, ist viel therapeutische Reflexionsarbeit notwendig; ganz ergründen lassen sie sich auch von uns selbst nie.

Anders steht es um den letzten Quadranten, den „Blinden Fleck“. Den können wir zwar selbst nicht wahrnehmen (genauso wenig, wie wir von innen unser Gesicht selbst sehen können), aber die anderen können ihn gut sehen und uns Rückmeldung darüber geben (sozusagen als Spiegel für uns fungieren). Im „Blinden Fleck“ finden sich Gewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen, Vorurteile und dergleichen, die uns selbst nicht bewusst sind, die die anderen aber sehr wohl erkennen, wenn sie mit uns Umgang haben. Im günstigsten Falle können wir aus ihren Rückmeldungen Neues über uns selbst erfahren, so den „Blinden Fleck“ für uns verkleinern und damit auch an uns selbst arbeiten. Denn wenn sich in meinem „Blinden Fleck“ etwas findet, was ich eigentlich verändern möchte, muss ich natürlich erst mal von anderen darauf aufmerksam gemacht werden. Oder vielleicht entdecken Außenstehende auch in mir Kompetenzen und Fähigkeiten, die ich selbst mir gar nicht zugetraut hätte?

Für die Entwicklung der Persönlichkeit ist es also wichtig, sich mit den beiden Quadranten zu beschäftigen, die man selbst an sich nicht wahrnimmt: dem „Unbewussten“ (was nicht einfach ist, mit der Hilfe bestimmter psychotherapeutischer Verfahren aber sehr wohl geht) und dem „Blinden Fleck“. Für diesen ist es ganz wichtig, dass wir Feedback von anderen annehmen können, nicht gleich mit Abwehr oder Angst darauf reagieren sondern bereit sind, uns interessiert und aufgeschlossen damit auseinanderzusetzen. Natürlich fällt uns das bei manchen Personen leichter als bei anderen. Es ist daher oft eine gute Idee, solche Personen immer wieder mal um ein ehrliches Feedback zu bestimmten Aspekten der eigenen Person zu bitten. Das verkleinert den eigenen „Blinden Fleck“ und kann Veränderungen und Wachstum möglich machen.

Wenn du magst, kannst du ja mal damit anfangen, deine eigenen Stärken und Kompetenzen (lies dazu auch den Beitrag "Entdecke deine Stärken") unter diesem Aspekt zu betrachten. Mach dir zunächst eine Liste all der Fähigkeiten, die du bei dir selbst entdecken kannst, und sortiere sie nach „sehr ausgeprägt“, „ausgeprägt“ und „vorhanden“ in drei Bereiche. Nimm dir dafür genügend Zeit - mit weniger als zehn bis fünfzehn Fähigkeiten solltest du dich nicht zufrieden geben! Und dann lass deine beste Freundin / deinen besten Freund die gleiche Liste für dich anfertigen (natürlich ohne ihm/ihr vorher deine Liste zu zeigen!). Anschließend könnt ihr mal vergleichen, ob und in welchem Umfang ihr euch über deine Kompetenzen einig wart und wo es vielleicht Differenzen gab. Wo hat sie/er dir etwas zugetraut, was du selbst gar nicht oder nur ganz am Rand auf der Liste hattest? Und umgekehrt: wo hast du dich selbst als fähiger eingeschätzt, als es dein Freund/deine Freundin getan hat? Aus so einem Experiment kannst du wichtige Hinweise dafür bekommen, wo es für dich Entwicklungspotenzial gibt bzw. wo du dein Licht vielleicht auch manchmal zu sehr unter den Scheffel stellst!

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