Liebeskiller Kind?



"Liebeskiller Kind?" fragte die Zeitschrift „emotion“ in ihrer August-Ausgabe 2006 provokativ auf dem Titelblatt. Der entsprechende Artikel befasste sich mit der Frage nach den Auswirkungen, die das erste Baby auf Beziehungen hat. Es zeigte sich nämlich damals in einer Studie, dass auch bei Paaren, die vorher beide berufstätig waren und für Gleichberechtigung eintraten, nach der Geburt die "Traditionalisierungsfalle" zuschnappte - sie bleibt daheim und kümmert sich um Kind und Haushalt, er schafft das Geld ran. Das passiert übrigens auch bei Paaren, die mit den allerbesten Vorsätzen in die neue Lebensphase starten, wie eine Bamberger Langzeit-Untersuchung belegte. Zu Beginn der Eheschließung hatte nur ein Viertel der Frauen angegeben, eine "traditionale Arbeitsteilung" zu praktizieren (sprich: kochen, spülen, aufräumen, putzen, waschen sind Frauenarbeiten!); mehr als 40 % starteten mit einer "partnerschaftlichen" Aufteilung in die Ehe. Nach 14 Jahren waren bei zwei Drittel der Paaren die Aufgaben wieder so verteilt wie zu Großmutters Zeiten - unabhängig davon, ob beide arbeiteten oder nur einer. Wichtigster Einschnitt hinsichtlich der Veränderung auch in dieser Studie: die Geburt des ersten Kindes - genau ab diesem Zeitpunkt zogen sich die Männer drastisch aus der Hausarbeit zurück, obwohl diese natürlich deutlich mehr wurde. Einkommen oder Bildung der Partner spielten dabei übrigens keine Rolle. Logischer Effekt - längst festgestellt in zahllosen Studien: die Ehezufriedenheit sinkt nach der Geburt des ersten Babys teilweise sehr drastisch ab. Die Paare streiten häufiger, die Qualität der Kommunikation insgesamt verschlechtert sich, Zärtlichkeiten und Sexualität werden selten. 

Der Artikel lieferte damals so seine Empfehlungen, was man dagegen tun könnte: Paare sollen miteinander sprechen, und zwar vor der Geburt, und eine genaue Arbeitsteilung festlegen, die dann auch durchgezogen wird (leider fehlte hier die Anweisung, wie nicht wahrgenommene männliche Verpflichtungen geahndet werden sollten - was mach ich denn, wenn die Wäsche am dritten Tag immer noch liegt, weil diese wichtige Präsentation unbedingt fertig werden musste? Mit Nektarinen schmeißen, wie die Frau am Anfang des Artikels es tat, mag ich nicht, wäre auch kontraproduktiv, gibt ja nur noch mehr Schmutz!). Außerdem sollen Paare aufeinander eingehen, sich immer wieder bewusst machen, was man am anderen schätzt und ihm / ihr das auch gezielt sagen. Vor allem, wenn er oder sie etwas besonders gut gemacht hat im Umgang mit dem Kind. (Positive Verstärker nennt man so was in der Lernpsychologie ...) Ach ja, feste Rituale und Zeit zu zweit werden empfohlen. Finde ich auch lebenswichtig für Paarbeziehungen - allerdings kenne ich natürlich auch die Schwierigkeiten in der Umsetzung, wenn die Großeltern 200 km weit weg wohnen und kein Au-pair-Mädchen verfüg- oder bezahlbar ist. Und der letzte Tipp: Immer daran denken, was alles schöner geworden ist, seit das Baby da ist und nicht dem "früheren Leben" hinterher trauern.

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Und was, wenn nicht so viel schöner geworden ist, seit das Baby da ist, wie man erwartet hatte? Oder vieles schöner, vieles aber auch sehr, sehr viel schlimmer? Mit dem Thema beschäftigt sich ein Beitrag von Wolfgang Schmidbauer in der aktuellen März-Ausgabe der „emotion“. Darin setzt er sich mit dem Shaken Baby Syndrom auseinander - der schrecklichen Situation, in der überforderte Eltern ihr schreiendes Baby aus Verzweiflung und/oder Hilflosigkeit so stark schütteln, dass es schwere Verletzungen davon trägt oder sogar stirbt. Der Nacken eines Säuglings ist nämlich noch zu schwach, um den relativ großen und schweren Kopf zu halten, so dass dieser beim Schütteln des Kindes vor- und zurückschleudert (etwas Ähnliches kann beim Erwachsenen z. B. bei einem Auffahrunfall passieren). Das Gehirn schwillt infolgedessen an, es kommt zu intrakraniellen Blutungen. Betreffen diese das Atemzentrum und legen es lahm, kann das Kind ins Koma fallen und sterben. Überlebt es, können immer noch Lernschwächen, schwere geistige Behinderungen oder Erblindung die Folge sein. Warum passieren diese Dinge? Ein paar Fakten sind interessant dazu (und finden sich leider zu selten in diversen Eltern-Zeitschriften und -Ratgebern):

„Babyschreien direkt am Elternohr übersteigt laut Befunden von Wahrnehmungspsychologen die akustische Schmerzgrenze“, schreibt Schmidbauer. „Es hat genau die Frequenz, die am meisten an den Nerven zerrt. Wer sich nicht zurückzieht, wird taub, als ob er ohne Hörschutz in einem lärmintensiven Betrieb gearbeitet hätte.“

Anfang letzten Jahres startete die Universität Salford eine Internet-Umfrage und ließ von 1,1 Millionen Nutzern die schrecklichsten Geräusche der Welt wählen. Und was landete auf Platz 8 unter den Top Ten? Richtig: das Geschrei eines Babys. Sind es mehrere, beanspruchen sie sogar Rang 3! Dagegen schaffte es der Zahnarztbohrer nur auf Platz 20 der Liste.

Solche Dinge sagt einem aber in der Regel keiner, bevor man ein Baby bekommt. Schmidbauer nennt es „ein kleines Wunder der Verleugnung, dass die meisten Eltern ihre Babys als ‚durchweg süß‘ in Erinnerung haben“ und plädiert für ein realistischeres Babybild:

„Liebe angehende Eltern, erwarten Sie ein cholerisches, äußerst reizbares Geschöpf, das Sie ohne erkennbaren Anlass in Grund und Boden schreit. Rechnen Sie mit Ihrem Baby wie mit einem cholerischen Chef, dem Ihr Wohlergehen vollständig gleichgültig ist und der von Ihnen Überstunden fordert, ob Sie nun erschöpft sind oder nicht. Gewöhnen Sie sich an ein äußerst liebesbedürftiges Gegenüber, von dem Sie im Gegenzug kaum Zuwendung und Aufmerksamkeit erwarten dürfen. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie gerade als Mutter sehr viele Aggressionen und Enttäuschungen verarbeiten müssen. Häufig wird Ihr Kind sich nicht so verhalten, wie es angesichts Ihrer Opfer der Fall sein müsste. Und machen Sie sich bewusst, wie gefährlich gerade Perfektionismus sein kann - denn er schadet am Ende gerade jenen Babys, deren Eltern es ganz besonders gut machen wollen.“

Ich finde, es ist höchste Zeit für solche klaren Worte. Hinsichtlich der Baby-Sache genauso wie hinsichtlich der Frage nach der Arbeitsteilung nach der Geburt. Romantische Erwartungen und vollmundige Versprechungen helfen uns da wie dort nicht weiter, sondern produzieren nur reihenweise erschöpfte, frustrierte Väter (die sich in ihrer doch noch relativ neuen Doppelrolle überfordert und zu wenig geschätzt sehen) und enttäuschte, wütende Mütter (die sich überfordert und hinterrücks ihrer mühsam erkämpften Gleichberechtigung beraubt erleben). Und schwupps brüllt man sich gegenseitig an und schiebt sich die Schuld an der (für beide!) unerträglichen Situation in die Schuhe. Obwohl man sich doch eigentlich liebt und nicht wehtun möchte. Oder verliert die Kontrolle dem Kind gegenüber. Bis hin zum maximalen Aussetzer, dem Shaken Baby Syndrom. Der laut Schmidbauer auch nicht darauf zurückgeht, dass Vater oder Mutter dem Kind schaden oder es gar töten wollen, sondern auf „eine brisante Mischung aus Ohnmacht und Wut. Das Kind ist anders, als ich es mir wünsche. Ich habe aber das existenzielle Bedürfnis, dass es sich genauso verhält, wie in meinen Vorstellungen: friedlich, dankbar - und still. Daher gehe ich mit ihm um wie mit einem defekten Gerät: Ich schüttle es, in der Hoffnung, dass dann alles wieder so läuft, wie es sollte.“

Das Gegenmittel? Nicht versuchen, den Partner oder das Baby zu „schütteln“, damit sie so funktionieren, wie man selbst das gern hätte. Lieber die eigenen Vorstellungen und Erwartungen einmal kräftig durchrütteln und auf den Prüfstand stellen. Das fängt meiner Meinung nach schon pränatal an: Ich würde für ganz, ganz viele Gespräche im Vorfeld plädieren, in denen speziell frau den Kinderwunsch des Partners sehr, sehr sorgfältig abklopft (und zwar den echten, nicht den nach Ruhe vor ihrem ewigen ‚ich-will-ein-Baby‘-Gejammer!). Und sich im Zweifel lieber einen anderen Vater für ihre Kinder sucht. Umgekehrt gilt das gleiche. Denn ich erlebe immer wieder, dass nur Paare, bei denen wirklich beide das Kind wollten, eine Chance haben, die - sicher nicht falschen - Tipps zur Neustrukturierung des Paaralltags aus dem ersten „emotion“-Artikel auch wirklich nutzen zu können. Und für die Zeit nach der Geburt möchte ich noch einmal Schmidbauer zitieren: „Wir tun Eltern keinen Gefallen, wenn wir verleugnen, dass Babys nicht immer süße, sanfte Wesen sind - sondern oft auch Kämpfer. (...) Manchmal ist das Leben mit einem Kind auch wie ein Feldzug: Wir sollten lernen, strategisch zu denken, Rückzugsmöglichkeiten einzuplanen, Reserven anzulegen und vor allem für Wachablösung zu sorgen, ehe Schlafmangel und Unkonzentriertheit in die Niederlage führen. Anstatt sich bis zum Ende seiner Kräfte aufzuopfern und sich gegenseitig für das Scheitern verantwortlich zu machen, sollten wir erkennen, wann es an der Zeit ist, Unterstützung zu suchen.“

Also: Bei schmalzigen Familienserien mit lauter goldlockigen, friedlichen Kindern im Vorabendprogramm zügig weiterzappen! Schnulzige Liebesromane, auf deren Titelblatt eine glückselige Mutter ihr strahlendes Baby im Arm hält gleich in die Tonne kloppen (die Dinger enden eh spätestens 24 Stunden nach der Geburt des Babys; ging ja nur drum, den Vater dazu zu finden)! Sich hinsichtlich Fragen nach Kinderfremdbetreuung und dergleichen nicht von der Eva-Herman-Fraktion und ihren Anhänger(innen) aus dem Konzept bringen lassen! Stattdessen lieber den aktuellen Spiegel-Online-Artikel lesen: Krippenkinder schaffen es öfter aufs Gymnasium! Die Finanzen daraufhin durchchecken, wo man das nötige Geld für Babysitter, Tagesmutter etc. locker machen kann - so viel wichtiger als der neue Jahreswagen oder der neue Flachbildschirm!! Sich selbst und dem Partner klarmachen, dass man selbst weiterhin eigene Bedürfnisse haben wird (und haben darf!), auch nach der Geburt eines Kindes. Ehrlich und realistisch miteinander verhandeln, und die getroffenen Vereinbarungen auch konsequent einfordern (ohne Nektarinen zu schmeißen). Sich zur Not frühzeitig (!!!) Unterstützung schon bei diesen Verhandlungen sichern - bei einem Paartherapeuten, bei einer Familienberatungsstelle, wo auch immer. Spätestens dann, wenn sich bei einem oder bei beiden die ersten Frustfalten festzusetzen beginnen, weil es doch nicht so läuft, wie man dachte.

Und vor allem begreifen: Das hier ist nicht mein Krieg gegen dich (um Emanzipation, rumliegende Socken und vergessene Lebensmitteleinkäufe) und auch nicht dein Krieg gegen mich (um die Frage, wer mit dem Baby besser zurecht kommt oder wer von uns beiden das „einfachere“ Leben hat). Sondern wir beide ziehen an einem Strang dafür, dass keiner von uns auf der Strecke bleibt: du nicht, ich nicht, und schon gar nicht das Baby.

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