Öffentlicher Heiratsantrag - ja oder nein?



Anfang Februar zappten wir gerade ein bisschen herum und landeten per Zufall in der Übertragung der Gala zur Verleihung der „Goldenen Kamera“. Und natürlich prompt an der Stelle, wo die Sportmoderatorin Monica Lierhaus - noch sichtlich gezeichnet von ihrer schweren Erkrankung - ihrem Lebensgefährten Rolf Hellgardt live einen Heiratsantrag machte. Schnüff! Schluchz! Nachdem alle verfügbaren Taschentücher durchgeheult waren, habe ich mir dann schon noch mal grundsätzlich meine Gedanken in Ruhe zu dem Thema gemacht. Kommt es mir nur so vor, oder häuft sich diese Art der Heiratsanträge irgendwie in den letzten Jahren?

AJ McLean von den Backstreet Boys hat‘s getan, Robbie Williams, Carlos Santana und Boris Becker ebenfalls. Und auch bei Otto Normalverbraucher geht der Trend in Richtung öffentlichem Heiratsantrag - findige Veranstalter bieten mittlerweile jede nur denkbare Möglichkeit hierfür an: auf der Kinoleinwand, im Konzert, in der Oper, im Fußballstadium, auf der Plakatwand ... Oder natürlich in Herzschmerz-Sendungen im Fernsehen (ich sage nur: Kai Pflaume und Konsorten!). Anfang Januar twitterte eine 18-jährige Berlinerin, sie werde, sobald sie 250 Follower zusammen habe, ihrem Freund einen Heiratsantrag machen. 15 Minuten danach war es so weit, und sie löste ihr Versprechen auch wirklich ein. Man fragt sich angesichts solcher Meldungen schon unwillkürlich, warum es manchen Menschen eigentlich so wichtig ist, die Frage der Fragen vor einem möglichst großen Publikum zu stellen, statt wie früher üblich bei einem trauten Tête-à-Tête?

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Eine mögliche Ursache dafür mag sein, dass öffentliche Selbstinszenierung und Selbstdarstellung heutzutage kein Privileg von Stars mehr sind. Gerade das Internet mit seinen sozialen Netzwerken hat dazu geführt, dass jeder sein Leben mit all seinen Facetten für alle Welt sichtbar darstellen kann. Viele fühlen sich geradezu verpflichtet, jedermann dauernd auf dem Laufenden zu halten, was sie gerade Wichtiges tun, denken oder sagen: „Sitze gerade in der Straßenbahn“ twittern sie dann an ihre virtuellen „Freunde“ und gehen zuversichtlich davon aus, dass selbige das auch unbedingt wissen möchten. Die eigene Bedeutung wird - Stichwort „narzisstische Gesellschaft“ - dabei gern gnadenlos überschätzt. Aber es ist unter diesem Blickwinkel dann natürlich nur logisch, dass man auch den eigenen Heiratsantrag vor einem möglichst großen Publikum inszeniert. Man ist der Star im eigenen Leben, alles spielt sich auf einer Bühne ab - natürlich auch das.

Ganz pragmatisch gesehen ist es für den oder die Gefragte natürlich in so einer Situation sehr viel schwerer, „nein“ zu sagen, als unter vier Augen im Wohnzimmer. Hätte sich Monica Lierhaus‘ Freund angesichts der standing ovations im Saal wirklich getraut, den Kopf zu schütteln? Und wenn man erst mal ja gesagt hat, ist ein Rückzieher schwierig geworden. Ein bisschen gemein betrachtet, ließe sich also sagen, dass sich der Fragende damit einen gewissen Vorteil sichert. Will man es positiver sehen, könnte man auch sagen: der Fragende macht sich in dieser Situation besonders verwundbar. Denn es ist ja klar, dass eine öffentliche Ablehnung noch tiefer schmerzen würde, als eine im stillen Kämmerlein. Insofern könnte man das auch als besonderen Liebes- und Vertrauensbeweis betrachten, wenn man will.

Grundsätzlich geht es bei einer Heirat ja schon darum, ein öffentliches, bindendes Statement zueinander abzugeben. Beide Partner stellen sich vor einer Anzahl Menschen hin und verkünden lauthals, dass sie gedenken, bis ans Ende ihres Lebens zusammenzubleiben. Das schafft Verpflichtung, commitment, Bindung, und das ist auch durchaus der Sinn des Rituals (und für nicht wenige deshalb auch der Grund, davor zurückzuschrecken). Insofern scheint manchen Menschen wahrscheinlich die Öffentlichkeit des Heiratsantrags nichts anderes als eine logische (und besonders romantische!) Verlängerung des Ganzen nach vorne - eine Art „Prequel“ zur Hochzeitszeremonie.

Vielleicht will man dem Partner auf diese Weise aber auch einfach nur demonstrieren, wie besonders er/sie/die Beziehung ist. Indem man es einfach „anders“ macht als die meisten, ausgefallen, originell. Aus dieser Perspektive betrachtet ist der öffentliche Heiratsantrag dann auch nichts anderes, als auf einem Leuchtturm zu heiraten oder in einem Unterseeboot. Oder sich morgens um vier auf dem Standeamt anzustellen, um auf jeden Fall ein bestimmtes Datum - z.B. eine Schnapszahl - für den Hochzeitstermin zu erwischen. Alles, nur nicht „mainstream“! Und da so viele Promis es vormachen - klar, dass sich da Nachahmer finden.

Gar nicht so wenige Menschen reagieren aber auf öffentliche Heiratsanträge alles anders als begeistert. Viele empfinden den Moment des Heiratsantrags als einen sehr persönlichen, intimen - den wollen sie nicht mit aller Welt teilen müssen. Gerade Menschen, die eher introvertiert und schüchtern sind, finden es unerträglich, so unerwartet und abrupt plötzlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. Wer mit einer intimen Inszenierung der „klassischen Art“ (Restaurant, Rosen, Ring im Champagnerglas) rechnet und statt dessen plötzlich mit einem öffentlichen Antrag überrumpelt wird, ist vielleicht auch erst mal einfach geschockt und fühlt sich überfahren. Da überwiegt dann das unangenehme Gefühl selbst dann, wenn man sich über den Antrag als solchen vielleicht freut. Wenn es ganz dumm läuft, kommt die öffentliche Frage sogar gar nicht als Liebes- und Vertrauensbeweis des Partners rüber, sondern vielmehr als unerträgliche Arroganz: Du bist dir wohl ganz sicher, dass ich ja sage, sonst würdest du das doch nie riskieren?! Da kriegt das Ganze dann plötzlich eher das G‘schmäckle einer Forderung, nicht mehr einer Bitte. Und das kann auch Trotz provozieren ...

Ein anschauliches Beispiel, wie ein öffentlicher Antrag daneben gehen kann, findet sich auf Youtube. Die Buh-Rufe der Zuschauer, als die Angebetete fluchtartig das Spielfeld verlässt, machen es deutlich: der Druck auf den Gefragten ist in so einer Situation immens hoch. Wenn man böse will, könnte man das Ganze durchaus als eine Art „Erpressung“ sehen - liebevoll verkleidet, natürlich, aber trotzdem Erpressung. Jetzt trau dich du mal, nein zu sagen! Wenn wir mal annehmen, dass zwei sich ja vermutlich lieben, wenn der eine auf die Idee kommt, einen Heiratsantrag zu machen, dann steckt man als Gefragter jetzt in der Klemme: Sagt man ja, ist alles gut und das Volk jubelt. Sagt man nein, setzt man jemanden, den man liebt, einer öffentlichen Blamage aus. Das tut keiner gerne oder leichten Herzens.

Speziell Frauen haben damit in aller Regel wahnsinnige Probleme - wir können doch in überhaupt keinem Kontext leicht „nein“ sagen, weil wir immer Sorge haben, dass wir dadurch die Beziehung zu anderen irgendwie beschädigen, sei es nun der Liebste, Tante Gertrud oder der Chef. Wir haben immer die Idee, wir müssten brave Mädchen sein und dürften niemanden kränken. Und einen Heiratsantrag öffentlich abzulehnen, ist natürlich eine ziemlich ultimative Kränkung. Das fällt wahrscheinlich nicht mal einem Mann in so einer Situation leicht, obwohl die ansonsten viel besser sind als Frauen im Neinsagen! Speziell auch deshalb, weil sich der andere in dieser Situation vor einem derartig entblößt und verwundbar macht. Er liefert sich sozusagen vor aller Augen meiner Gnade aus. Wenn man jetzt „nein“ sagt, werden einen alle Anwesenden für kaltherzig und brutal halten. Kann man das aushalten?

Zum anderen spürt man als Gefragter in so einer Situation natürlich die gespannte Erwartungshaltung des Publikums: Alle erwarten doch von einem, dass man jetzt dem anderen gerührt in die Arme sinkt und „ja“ haucht. So schreibt es das Hollywood-Drehbuch nun mal vor! Wenn Sie an das aktuellste Beispiel (Monica Lierhaus) denken - da hat das Publikum sofort nach der Frage gejubelt und geklatscht, bevor ihr armer Freund überhaupt die Chance hatte, den Mund aufzumachen. In so einer Situation dann abzuwinken und zu sagen: Leute, ist ja nett gemeint, aber ich will nicht! - das erfordert sehr, sehr viel Stehvermögen und Selbstbewusstsein! Das haben die wenigsten.

Aber viele sind ja doch sehr begeistert und gerührt von einem öffentlichen Antrag und nehmen ihn mit großer Freude an. Wie sollte man im Fall des Falles also entscheiden, ob man lieber die Großleinwand oder das Séparée für die Frage der Fragen wählt?

Ich denke, wenn man seinen Partner einigermaßen gut kennt, dann kann man einschätzen, ob er eine solche öffentliche Inszenierung eher schätzen oder vor Peinlichkeit schier in den Boden versinken wird. Eine Fehlentscheidung wie die des jungen Mannes im obigen Video zeigt also im Grunde, dass man den anderen eben nicht besonders gut kennt - zumindest in einigen wesentlichen Facetten seiner Persönlichkeit. Das kann passieren, wenn man noch nicht lange zusammen ist oder wenn man sich einfach nicht genug Mühe gemacht hat, den anderen kennenzulernen und zu verstehen. Es fehlt dann einfach an Empathie, der Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen. Das kann relativ leicht z. B. passieren, wenn zwei sehr unterschiedliche Typen - ein extrovertierter, dem eine solche Inszenierung vielleicht Freude machen würde, und ein introvertierter, der dabei vor Scham halb umkommt - aufeinandertreffen. Wenn der Extrovertierte dann einfach von sich auf den anderen schließt - „also, MIR würde das gefallen!“ -, statt sich wirklich in diesen einzufühlen, passiert einfach eine Übertragung, und das geht dann daneben. Als Gegenmittel kann man da nur ganz viel Kommunikation, Zuhören, sich in den anderen Reindenken empfehlen.

Ich würde aber auch vermuten, dass so mancher Fragende im Grunde genau weiß, dass der andere diese Art des Heiratsantrags zwar nicht schätzen wird - aber sich bewusst drüber wegsetzt, um für sich genau das Druckpotenzial auszunutzen, das so eine öffentliche Inszenierung mit sich bringt. Zum Beispiel, weil er das Gefühl hat, dass die Beziehung sich gerade verschlechtert und er dadurch das Steuer mit Gewalt herumreißen will. Oder weil er befürchtet, unter vier Augen würde der andere nein sagen, aber in der Öffentlichkeit nicht. In so einem Fall handelt es sich weniger um eine Liebeserklärung, sondern mehr um eine Art Machtdemonstration - dann haben die Partner auch wahrscheinlich insgesamt eine Schieflage in der Partnerschaft in Sachen Dominanz und Macht. So was ist oft ziemlich schwierig allein aufzulösen, da braucht‘s dann schon einen guten Paartherapeuten!

Und last but not least kann es auch einfach vorkommen, dass man den Status der Partnerschaft falsch einschätzt. Man selbst ist vielleicht der Meinung, schon an dem Punkt für ein verbindliches Commitment zu sein, der andere aber ganz und gar nicht - und man selbst merkt das gar nicht. Das kann dann passieren, wenn man nur zu oberflächlich miteinander in Kontakt ist und zu wenig in ehrlichem Austausch über Gefühle und Befindlichkeiten. Auch das ist oft ein Auswuchs unserer „Narzissten-Gesellschaft“ - dass wir gar nicht mehr wirklich den Partner mit seinen Bedürfnissen und in seinem Sein wahrnehmen, sondern uns nur noch selbst in ihm spiegeln. Beziehungsweise einander etwas vorspielen, was wir in Wirklichkeit gar nicht empfinden. Auch dagegen hilft nur ganz viel Kommunikation und Ehrlichkeit - und das Bemühen, den anderen wirklich zu verstehen.

Und wenn man selbst sich plötzlich in so einer Situation wiederfindet? Man hat mit einem gemütlichen Kinoabend gerechnet, kaut friedlich auf der ersten Handvoll Popcorn und soll völlig unerwartet auf einmal eine Entscheidung über den Rest seines Lebens treffen? Was jetzt - dem Hollywood-Drehbuch folgen, erst mal in Ohnmacht fallen oder gleich flüchten?

Das kommt meiner Meinung nach drauf an. Vielleicht hat der Partner ja mit dem Ganzen bei einem selbst voll ins Schwarze getroffen - wie romantisch, so was hat man sich heimlich immer schon gewünscht! Wunderbar, dann gibt es ja kein Problem. Einsatz der Geigen, bitte! - Ist man eher peinlich berührt ob des plötzlichen allgemeinen Interesses an der eigenen Beziehung, dann sollte man sich wahrscheinlich fragen: Findet man den Antrag grundsätzlich gut, nur die Form gefällt einem nicht? Oder ist man überhaupt nicht bereit, den Antrag anzunehmen? Es kann ja sein, dass der andere sich - aus welchen Gründen auch immer - einfach vergaloppiert hat, als er sich für einen öffentlichen Antrag entschieden hat. Hätte man unter vier Augen gerne „ja“ gesagt, dann sollte man in so einer Situation ruhig gute Miene zum bösen Spiel machen und auch den öffentlichen Antrag annehmen. Später kann man ja dann immer noch behutsam klarstellen, dass einem die Form nicht so recht war.

Wenn man aber innerlich kein „ja“ zu dem Antrag in sich spürt, dann sollte man ihn ruhig auch öffentlich ablehnen. Dem Partner die Blamage zu ersparen, nur um ihm dann hinterher zu sagen: „Sorry, ich will doch nicht!“, wäre noch unfairer. Der andere ist kein kleines Kind, das man in gewisser Hinsicht manchmal vor den Folgen seines Tuns bewahren muss, sondern ein erwachsener Mensch. Er hat sich in die Situation selbst reingeritten - dann muss er im Zweifel auch die negativen Konsequenzen aushalten. Das gehört zum Erwachsensein. Ein Ende mit Schrecken ist dann besser als ein Hinauszögern. Der wirkliche Schlag ist ja - hoffentlich zumindest! - nicht die Blamage, sondern die Ablehnung des Antrags. Und den kann man dem anderen dann sowieso nicht ersparen ...

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