Ihr Kinderlein kommet - aber bitte nicht in die Kinderkrippe!



Also, manchmal muss ich mir doch schon verwundert die Augen reiben, wenn ich mir so anschaue, wer denn so alles zu welchem Thema seinen Senf - und in welcher Form! - dazu geben muss. So ging es mir schon bei diversen Schwangerschaftsabbruch-Debatten, bei denen man zwischendrin den Eindruck bekam, die wortgewaltigsten Akteure auf der öffentlichen Bühne seien diejenigen, die ganz pragmatisch gesehen von einer ungewollten Schwangerschaft und deren gravierenden psychischen und sozialen Folgen eigentlich am wenigsten betroffen waren: Männer, und sehr oft auch vor allem Männer der katholischen Kirche. Konnte ich bei der Abtreibungsdebatte noch halbwegs nachvollziehen, dass sie sich berufen fühlten, Stellung zu beziehen (immerhin geht es hier auch um ein ethisches Problem), fehlt mir für den derzeitigen Rummel um den katholischen Bischof Walter Mixa, der gerade mit seinen Angriffen auf die Politik von Ursula von der Leyen allerorten für Aufregung sorgt, auch der letzte Funken an Verständnis. Erklärt der Mann doch allen Ernstes, deren Pläne zum längst überfälligen Ausbau der Kleinkinder-Betreuungsformen in Deutschland seien "schädlich für Kinder und Familien und einseitig auf eine aktive Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern fixiert". Damit nicht genug, behauptet er im Brustton der Überzeugung auch noch, dass Kinder in den ersten Jahren keinesfalls außerhäusig untergebracht werden dürften, "weil sonst die Kinder ja geschädigt sind". Mixa sagte, nach Ansicht von Fachleuten seien Kinder aufgrund der Entwicklung ihrer Hirnzellen in den ersten drei Lebensjahren ganz wesentlich auf dieselben Bezugspersonen angewiesen.

Da frage ich mich doch, warum nimmt man jemanden, der so einen völligen Blödsinn verzapft, überhaupt ernst, nur weil er zufällig eine Mitra auf seinen eigenen Hirnzellen trägt?! Ich respektiere ganz bestimmt jede Form von Glauben und Religion, so lange sie gewaltfrei bleibt, und nichts läge mir ferner, als die religiösen Gefühle von Mitmenschen verletzen zu wollen. Aber wenn kirchliche Würdenträger anfangen, sich als Hobby-Psychologen aufzuspielen und mit dem verstaubten Argument der ach so wichtigen Mutter-Kind-Bindung Frauen via schlechtes Gewissen in Vorkriegsverhältnisse zurückzubomben, dann hört bei mir der Respekt sehr schnell auf. Mal abgesehen davon, dass er wieder kein Wort über die Väter verliert - Nachtigall, ick hör dir trapsen! - möge Herr Mixa doch bitte mal einen Blick auf europäische Fakten werfen, statt Weihrauch auf dem Altar des Mutterkults zu verbrennen. In Frankreich werden 40 % der Zweijährigen und 99 % aller Dreijährigen in Krippen und Kindergärten betreut. Der Besuch der Ganztagsschule ist ab 6 Jahren sowieso zwingend. In den nordischen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland) finden sich ein Drittel bis drei Viertel (!) aller Kinder in Betreuungseinrichtungen; ab dem dritten Lebensjahr sind es zwischen 68 und 94 %. Will Mixa etwa behaupten, alle diese Kinder unserer Nachbarn seien „geschädigt“?! In allen diesen Ländern sitzen also nur Unwissende oder Verantwortungslose an den Steuerungshebeln der Politik, denen das Kindeswohl völlig gleichgültig ist, so lange sie nur den Frauen die durchgängige Erwerbstätigkeit ermöglichen? Jetzt mal ehrlich - über so etwas muss man doch eigentlich gar nicht diskutieren, das kann man doch nur belächeln, oder?

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Keine Frage, die Entwicklung eines Kindes wird ganz entscheidend mit durch die Bindung an seine Bezugsperson(en) bestimmt. Hier (unter anderem) entstehen die Grundlagen seiner späteren Bindungs- und Beziehungsfähigkeit. Und ebenfalls keine Frage: der Mutter kommt dabei vor allem im ersten Lebensjahr eine zentrale Bedeutung zu. Das resultiert in den meisten Fällen schon durch den Prozess des Stillens, das nun mal von niemand anderem in dieser Form übernommen werden kann. Die wenigsten Frauen aber auch in den oben genannten Nachbarländern kehren sechs Wochen nach der Geburt in den Beruf zurück, nachdem sie ihren Säugling mitsamt Milupa-Fläschchen einer Kinderschwester in die Arme gedrückt haben. Bis auf einen verschwindend kleinen Anteil bleiben auch dort die meisten bis zu einem Jahr zu Hause und widmen sich in dieser Zeit ausschließlich dem Kind. Hier gibt es also überhaupt nichts zu missionieren - das hat Mutter Natur schon erfolgreich besorgt. Aber nach dieser Zeit ist ein Baby bei weitem nicht mehr so auf die Mutter fixiert. Im Gegenteil, zunehmend werden Gleichaltrige und andere Bezugspersonen immer interessanter und wichtiger. Darüber gibt es zahllose entwicklungspsychologische Studien. Selbstverständlich kommt es darauf an, dem Kleinkind jetzt stabile Verhältnisse anzubieten, damit es seine Bindungsfähigkeiten optimal weiter entfalten kann. Ständig wechselnde Betreuungspersonen oder Einrichtungsumgebungen würden ein Kind in diesem Alter nur verunsichern. Aber eine liebevolle, immer gleiche Tagesmutter? Eine gut ausgebildete, für nicht allzu viele Kinder gleichzeitig verantwortliche und daher auch ausgeglichene und zugewandte Erzieherin? Eine (im Großen und Ganzen) gleich bleibende Bezugsgruppe gleichaltriger Spielgefährten? Eine vertraute, rundum kindgerecht gestaltete Umgebung? Was um Himmels Willen soll daran auszusetzen sein?

In Deutschland besuchen derzeit knapp 10 % der unter Dreijährigen eine Betreuungseinrichtung. Abgesehen vom Mangel an verfügbaren Plätzen spielen bei dieser Zahl gerade hierzulande auch und - laut vieler Studien - vor allem geschichtliche Wurzeln und kulturelle Leitbilder eine zentrale Rolle. Seit der „Blut-und-Boden-Ideologie“ des Dritten Reichs, seit der Schaffung des Mutterkults durch das Naziregime hält sich in deutschen Köpfen hartnäckig ein Mythos von Mutterschaft, der mit der Realität nicht allzu viel zu tun hat: Mutter ist 24 Stunden am Tag dauerpräsent, behütet und umsorgt ihre Kinderlein mit Liebe, hausgemachtem Kartoffelbrei und sanfter Hand und schafft ihnen eine heile Welt zwischen Weihnachtslametta und Osterhasenbastelei, fernab vom hektischen und bösen Außen. Abends kommt Papi nach Hause und schaut mit leuchtenden Augen über die Schar seiner Lieben, bevor er die Kleinen zur Gutenachtgeschichte ins Bett bringt. Der langjährige Ausstieg der Mutter aus dem Erwerbsleben und ihre späte (wenn überhaupt) Rückkehr in den Beruf sind somit notwendige, aber gern gebrachte Opfer auf dem Altar der intakten Kleinfamilie.

Mal ganz abgesehen davon, dass der Beweis, dass solcherart erzogene Kinder zu glücklicheren, psychisch gesünderen und für das Leben gerüstete Menschen heranwachsen, nie erbracht worden ist - wie viele Familien genau kennt Herr Mixa wohl, auf die dieses Idyll zutrifft? Angesichts dessen, dass sich die Zahl der Eheschließungen in Deutschland in den letzten vierzig Jahren halbiert hat, dass 2005 29 % aller Kinder unehelich geboren wurden und dass mittlerweile jede dritte Ehe geschieden wird (Tendenz steigend!), sind solche Träumereien schlicht und einfach hanebüchen. Die Realität sind allein erziehende Mütter auf Hartz IV, abwesende Väter, die ihren Unterhaltszahlungen nicht oder nur schleppend nachkommen und Kinder, die für ihre müden, überforderten Eltern keinen Quell der Freude mehr darstellen, sondern in erster Linie ein Organisationsproblem. Das dann nur allzu oft mittels Teletubbies und ähnlich pädagogisch Wertvollem gelöst wird. Und das soll eine gesunde Entwicklung bei ihnen fördern? Also, ich habe da so meine Zweifel.

Und die Frauen, die das Glück einer intakten Familie und/oder einer Betreuungsmöglichkeit und auch noch einer guten Ausbildung haben? Denen wird bei ihrer Rückkehr in den Job nach einigen Jahren auch nicht gerade der rote Teppich ausgerollt in diesem unserem Lande. Viel zu viele Chefs ziehen angestrengt die Augenbrauen hoch, wenn Mütter nach drei Jahren aufkreuzen und ihren Arbeitsplatz wiederhaben wollen. Sie denken daran, dass Kinder schnell mal krank werden und Mütter dann im Betrieb kurzfristig ausfallen, weil kein anderer da ist, der Fieber misst und Tee kocht. Sie bekommen Visionen von anspruchsvollen Projekten, an denen ihre wichtigsten Mitarbeiterinnen vielleicht um halb fünf bedauernd sagen: „Ich weiß, dass das heute eigentlich noch fertig werden müsste, aber ich kann nicht, ich muss jetzt einfach weg, die Kita hat nicht länger offen!“ Und dann fallen ihnen alle möglichen Gründe ein, warum die rückkehrende Mutter leider, leider nicht an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Oder nur in Vollzeit (was sie vielleicht gar nicht will). Oder nur zu bestimmten Zeiten oder Konditionen, die für die Mutter nicht akzeptabel sind. Ich weiß, es gibt rühmliche Ausnahmen unter Firmen und Chefs diesbezüglich. Aber die Regel sind sie nicht - leider. Sonst müsste man ihnen keine rühmenden Doku-Beiträge in Fernsehen und Presse widmen. Mütter mit kleinen Kindern sind in der Industrie ein schwieriges Thema, so lange es nicht genug vernünftige Betreuungsangebote in Deutschland gibt.

Mixa behauptete, die geplante staatliche Förderung degradiere Frauen zu "Gebärmaschinen" und erzeuge einen Druck auf sie, die Kinder immer früher in Betreuungseinrichtungen „abzuschieben“, um selbst erwerbstätig sein zu können. Das ist eine so weltfremde Aussage, dass man nur den Kopf schütteln kann. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, möchte ich meinen. Ein falsch verstandener Muttermythos, eine einseitige Schuld- und Verantwortungszuweisung ins Lager der Mütter (statt beider Eltern und der Gesellschaft), keine Wahlmöglichkeiten, mangelnde Unterstützung - das sind die Probleme, mit denen Frauen heute zu kämpfen haben. Kein Wunder, dass mittlerweile jede dritte nach 1965 geborene Frau kinderlos bleibt.

Nein, lieber Herr Bischof, bleiben Sie mal schön bei Ihren Leisten und ethischen Fragestellungen, und überlassen Sie das Territorium der Kindererziehung und familienpolitischen Gestaltung den Menschen, die davon mehr Ahnung haben als Sie in Ihrem sakralen Elfenbeinturm. Oder begleiten Sie mal ein paar Wochen lang eine sozialpädagogische Familienhelferin bei ihrer täglichen Arbeit, wahlweise auch einen Sozialarbeiter oder Familientherapeuten. Wenn Sie möchten, können Sie ja auch mal einer Verfahrenspflegerin bei ein paar Sorgerechts- und Unterhaltsverhandlungen über die Schulter schauen. Dann werden Sie ein gut ausgebautes Klein- und Großkindernetz in Deutschland, ausgestattet mit professionellen, zufriedenen (weil bezahlten!) ErzieherInnen und LehrerInnen, in einem die physische und psychische Entwicklung ebenso wie das soziale Lernen anregende kindgerechten Umfeld mit etwas anderen Augen sehen. Und den Mythos der 24-Stunden-Mutterschaft und dessen allein selig machenden Effekt dahin stopfen, wo er hingehört - in die Mottenkiste der Geschichte.

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