Frederick sammelt Sonnenstrahlen - Du auch?



Diese letzten Tage waren bei uns - August hin oder her - einfach keine Hochsommertage mehr. Nachts gehen die Temperaturen schon wieder deutlich zurück; man merkt es morgens, wenn die Scheiben beschlagen sind und unsere Katzen unzufrieden die Pfötchen schütteln, weil die Wiese bei ihrem Morgenspaziergang noch ganz nass vom Tau ist. Unsere Linde produziert tatsächlich schon vereinzelte gelbe Blätter, und in den Weinbergen rund um unser Dorf sind die ersten Wingertschütze in Betrieb genommen worden, um die Stare mit ihrem Geknalle davon abzuhalten, ihre eigene Weinlese durchzuführen. Abends wird es schon wieder deutlich früher dunkel - die langen, warmen Abende, an denen man im T-Shirt bis weit in die Nacht draußen saß ohne zu frösteln, sind vorbei. Ich glaube, ich kann mir nicht länger etwas vormachen: der Herbst ist in greifbare Nähe gerückt.

Für mich ist das schon immer eine Erkenntnis gewesen, um die ich mich gerne so lange wie möglich herumgemogelt habe. Ich bin ein sehr wärme- und sonnenliebendes Tierchen (so ab 25 Grad aufwärts fühle ich mich richtig wohl) und mag die dunkle, kalte Jahreszeit eigentlich gar nicht. Seit wir hier auf dem Land wohnen, ist es ein bisschen besser geworden, weil ich mich durchaus an einem bullernden Holzofen und einem verschneiten Feld freuen kann; in der Stadt ist Schnee ja meist nur ein Verkehrshindernis bzw. eine graue, matschige Masse am Straßenrand. Trotzdem weiß ich jetzt schon, dass mir die Zeit wieder sehr, sehr lang werden wird, bis endlich die ersten Winterlinge und Schneeglöckchen den nächsten Frühling ankündigen werden. Geht es dir auch so? Wenn ja: wir sind damit nicht allein. Jeder vierte Deutsche klagt in Untersuchungen über gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit, gesteigertes Schlafbedürfnis und Heißhunger auf Süßes während des Herbstes und Winters. Forscher führen das vor allem darauf zurück, dass die Zirbeldrüse in der lichtarmen Zeit mehr Melatonin produziert, ein Hormon, das schlaffördernd wirkt und traurig und müde macht. Das Phänomen hat sogar einen eigenen Namen: „Winterdepression“, wissenschaftlicher auch: saisonal abhängige Depression (SAD). Am Mittelmeer ist dieses Phänomen gänzlich unbekannt (die Welt ist halt ungerecht!), die Skandinavier dagegen leiden besonders häufig daran. Sind die Symptome nur schwach ausgeprägt, heißt das Ganze „Winterblues“ (oder subsyndromale SAD).

Als Kind war eines meiner Lieblingsbilderbücher das Buch „Frederick“ von Leo Lionni. Das fällt mir immer wieder zu dieser Jahreszeit ein. Es erzählt die Geschichte von Frederick, einer kleinen Maus, die zusammen mit vielen anderen Mäusen in einer Feldmauer wohnt. Weil der Herbst vor der Tür steht, beginnen alle kleinen Feldmäuse, Körner, Nüsse, Weizen und Stroh zu sammeln. Alle Mäuse arbeiten Tag und Nacht. Alle - bis auf Frederick. Während seine Mäusefreunde um ihn herum schuften, sitzt Frederick in der Sonne und lässt sich das Fellchen wärmen. Natürlich macht das die anderen Mäuse wütend!

"Frederick, warum arbeitest du nicht?", fragten sie. "Ich arbeite doch", sagte Frederick, "ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage."

Die Mäuse schütteln nur die Köpfe. So etwas Verrücktes! Sonnenstrahlen kann man doch nicht essen! Aber Frederick lässt sich nicht beirren und tut weiter - scheinbar - nichts:

Und als sie Frederick so dasitzen sahen, wie er auf die Wiese starrte, sagten sie: Und nun, Frederick, was machst du jetzt?" - "Ich sammle Farben", sagte er nur, " denn der Winter ist grau."

Und einmal sah es so aus, als sei Frederick halb eingeschlafen. "Träumst du, Frederick?", fragten sie vorwurfsvoll. "Aber nein", sagte er, "ich sammle Wörter. Es gibt viele lange Wintertage – und dann wissen wir nicht mehr, worüber wir sprechen sollen."


Als der Winter schließlich kommt, verschwinden die Feldmäuse in ihr Versteck. Zuerst geht es ihnen allen gut, denn sie haben viele Vorräte und auch viele Geschichten zu erzählen. Sie sind lustig und vergnügt. Aber irgendwann sind die Vorräte aufgeknabbert und die Mäuse werden immer stiller und trauriger.

Da fiel ihnen plötzlich ein, wie Frederick von Sonnenstrahlen, Farben und Wörtern gesprochen hatte. "Frederick", riefen sie, "was machen deine Vorräte?" - "Macht die Augen zu", sagte Frederick und kletterte auf einen großen Stein. "Jetzt schicke ich euch die Sonnenstrahlen. Fühlt ihr schon, wie warm sie sind? Warm, schön und golden?" Und während Frederick so von der Sonne erzählte, wurde den vier kleinen Mäusen schon viel wärmer.

"Und was ist mit den Farben Frederick?", fragten sie aufgeregt. "Macht wieder eure Augen zu", sagte Frederick. Und als er von blauen Kornblumen und roten Mohnblumen im gelben Kornfeld und von grünen Blättern am Beerenbusch erzählte, da sahen sie die Farben so klar und deutlich vor sich, als wären sie aufgemalt in ihren kleinen Mäuseköpfen.

Und als Frederick zum Schluss noch ein Mäusegedicht vorträgt - denn Wörter hat er ja auch noch genügend gesammelt! -, da klatschen alle kleinen Feldmäuse und begreifen, warum Nüsse und Weizen und Körner allein für einen langen, kalten Winter nicht reichen.

Frederick kommt mir jedes Jahr wieder in den Sinn, wenn die Tage kürzer werden und die Nächte kälter. Und wann immer der Altweibersommer oder der Herbst uns einen schönen, warmen Tag schenken, versuche ich - obwohl ich eigentlich sonst ziemlich pflichtbewusst bin! - alles andere stehen und liegen zu lassen und Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammeln zu gehen. Ich weiß, dass ich sie im Winter gut werde brauchen können ...

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