Mit Panikattacken umgehen lernen



In meinem ersten Artikel zum Thema Panikattacken habe ich erklärt, wie Panikattacken zustande kommen und was während einer solchen Attacke im Körper passiert. Wie versprochen folgt hier nun der zweite Artikel zum Thema. Heute geht es um folgende Fragen: Was kann man tun, wenn man spürt, dass eine Panikattacke im Anzug ist - und vor allem: Wie wird man Panikattacken wieder los?

Vorweg eine gute Nachricht: Angststörungen - und zu diesen gehören Panikattacken - zählen zu den am besten und effektivsten behandelbaren psychischen Störungen überhaupt! Das ist jetzt wahrscheinlich schwer zu glauben für jemanden, der gerade seine ersten paar Attacken hinter sich hat (und von deren Heftigkeit schlicht erschlagen ist) oder auch für jemanden, der schon seit Jahren mit diesem Problem kämpft und schon alle Hoffnung verloren hat, es jemals wieder loszuwerden. Aber es stimmt! Allerdings ist es in etwa so wie in dem Witz mit dem Psychologen und der Glühbirne. (Wie viele Psychologen braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Nur einen, aber die Glühbirne muss es auch wirklich wollen!) Oder anders gesagt: wenn der Patient nicht wirklich will, dass die Angststörung verschwindet, dann steht der Psychologe mit seinem ganzen therapeutischen Wissen leider auf verlorenem Posten. Der Patient muss bereit sein, sich auch unangenehmen, anstrengenden und frustrierenden Situationen hartnäckig immer wieder auszusetzen, anders ist das Problem nicht zu lösen. Der Schlüssel zu einer Veränderung liegt nämlich leider nur und ausschließlich in seinem Kopf.

Schauen wir uns die Angstreaktion noch einmal genau an, um das besser zu verstehen. Angst an sich ist ja erst einmal nichts Schlechtes - Angst ist uns von Mutter Natur nämlich mitgegeben worden, um lebens- und gesundheitserhaltend für uns zu wirken. Hätten unsere Vorfahren keine Angst vor dem Säbelzahntiger, dem steilen Abgrund oder dem tiefen Wasser gehabt, wären sie vermutlich zügig ausgestorben. Auch heute noch ist es in vieler Hinsicht gut, Angst zu haben - Angst, mit dem Auto zu verunglücken und sich deshalb brav an das Tempolimit zu halten; Angst, AIDS zu bekommen und deshalb ein Kondom zu benutzen; Angst, Krebs zu bekommen und deshalb das Rauchen lieber sein zu lassen. Begründete Angst schützt uns vor Gefahren und hält uns an, vorsichtig zu sein. Deshalb ist sie eine gute Sache.

Panikattacken wie die, um die es hier geht, sind allerdings Angstreaktionen, die unbegründet und unangemessen in ihrer Heftigkeit sind. Ein Supermarkt, ein Aufzug oder auch ein Tunnel bedeuten an sich erst einmal keine Gefahr für Leib und Leben, soweit würdest du wahrscheinlich zustimmen, oder? Wie können sie also zu Auslösern für Panikattacken werden? Ganz einfach: durch die Bewertung der jeweiligen Situation durch die betroffene Person. Die ist immer höchst subjektiv und entscheidet darüber, ob eine Situation als bedrohlich wahrgenommen wird oder nicht. Ein simples Beispiel dafür: Stell dir eine Straße vor, die du entlanggehst. Ein paar Meter vor dir öffnet sich ein Hoftor und ein großer Hund - ein Dobermann oder ein Schäferhund kommt herausgesprungen, bleibt stehen und schaut dich an. Wie reagierst du?

Nun, das kommt jetzt wahrscheinlich auf deine bisherigen Erfahrungen mit Hunden und deine grundsätzlichen Überzeugungen Hunde betreffend an. Magst du Hunde, hast du vielleicht selbst schon einen Hund besessen oder hast du zumindest noch nie etwas Unschönes mit einem Hund erlebt, scheint dir das Ganze wahrscheinlich nicht bedrohlich. Vielleicht gehst du ja sogar einen Schritt auf den Hund zu, streckst die Hand aus und begrüßt ihn mit einem freundlichen: „Na, du Hübscher?“ Ganz anders natürlich, wenn du Hunde nicht magst, sie dir eher unheimlich sind oder du sogar schon einmal von einem Hund attackiert worden bist. Dann wirst du wahrscheinlich erschrecken, Angst bekommen, vielleicht sogar weglaufen. Gleiche Situation - völlig unterschiedliche Bewertungen: einmal als bedrohlich und Angst machend, einmal als neutral oder vielleicht sogar erfreulich. Du siehst also, nicht die Situation an sich entscheidet darüber, ob wir Angst bekommen, sondern unsere Bewertung der Situation. Das gilt im Alltag ständig - der eine findet einen Bungeesprung das Höchste der Gefühle, der andere stirbt schon beim Gedanken daran fast in den Schuhen; der eine liebt es, vor einem großen Publikum zu stehen und Reden zu halten, der andere kann am Vorabend seiner ersten Kleingruppenpräsentation vor Nervosität kein Auge zutun. Entscheidend ist immer nur die Bewertung der Situation durch den Betroffenen, nicht die Situation selbst, damit das Gefühl der Angst entsteht.

Wenn wir eine Situation als bedrohlich oder unangenehm empfinden, dann ist unsere natürliche Reaktion die Flucht aus dieser Situation. Das ist auch ganz sinnvoll so, wenn es sich bei der Situation um den hungrigen Säbelzahntiger handelt - dummerweise kann es aber zum Problem werden, wenn wir mit unserer Bewertung der Situation als „gefährlich“ falsch liegen. Nehmen wir an, du fährst Fahrstuhl. Mittendrin fühlst du dich plötzlich sehr unwohl (es ist nur der Hamburger, den du zum Mittagessen zu schnell verdrückt hast, aber es fühlt sich sehr unangenehm an - Schweißausbruch, Herzrasen, Zittern, das Gefühl, dich gleich übergeben und gleichzeitig auf die Toilette zu müssen). O Gott, bloß nicht jetzt hier drin zusammenbrechen, in Ohnmacht fallen oder den anderen Leuten vor die Füße kotzen! Das Gefühl verfliegt wieder, als du aus dem Aufzug aussteigst. Aber dein Gehirn hat bereits die Verknüpfung gespeichert: Aufzug = gefährlich! Das nächste Mal, wenn du vor einem Aufzug stehst, beschleicht dich aufgrund dieser Speicherung möglicherweise ein etwas ungutes Gefühl - nichts Konkretes, nur so ein leichtes Flattern in der Magengegend. Du beschließt, lieber die Treppe zu nehmen, und fühlst dich sofort erleichtert. Beim übernächsten Mal schaust du den Aufzug schon gar nicht mehr an, sondern wendest dich gleich der Treppe zu. Ist eh viel gesünder, sagst du dir.

Zwei Tage später fährst du mit der Straßenbahn und bekommst plötzlich wieder dieses flaue Gefühl im Magen. Du sagst dir, dass das gleich vorbeigeht - tut es aber nicht. Es wird immer schlimmer und weitet sich zu einer veritablen Panikattacke aus. Du stürzt aus der Straßenbahn und ringst nach Luft. Nie wieder - ist ja auch viel zu eng da drin! Für die Rückfahrt nimmst du lieber ein Taxi. Da kannst du jederzeit aussteigen, wenn du willst, das scheint dir besser. Wer braucht schon Straßenbahnen ...

Das ist ein einfaches (und sehr häufiges) Beispiel dafür, wie selbst eine einmalige angstvolle Erfahrung erstens zu Vermeidungsverhalten führen kann (die Treppe statt des Aufzugs nehmen) und wie sich die ursprüngliche Angst (vor dem Fahrstuhl) unter Umständen leise, still und heimlich auf andere, ähnliche Situationen ausbreitet (die Straßenbahn). Psychologen sagen dazu, dass die Angst „generalisiert“ - sie greift mehr und mehr in das Leben der Betroffenen ein und macht es schwierig. Dadurch, dass man nach einer angstbesetzten Situation diese fortan meidet, kann man nicht mehr die Erfahrung machen, dass die Situation an sich in Wirklichkeit gar keine Gefahr für einen beinhaltet. Die Überzeugung, dass die Situation tatsächlich gefährlich ist, verfestigt sich dadurch. Der Teufelskreis, der daraus entsteht, ist klar:

  • Ich empfinde Angst in einer bestimmten Situation (oder angesichts eines bestimmten Reizes) und schließe daraus (fälschlich), dass die Situation gefährlich ist.
  • Ich vermeide die Situation ab sofort, um diese Angst künftig nicht mehr zu spüren („Angst vor der Angst“).
  • Dadurch verfestigt sich meine Annahme, dass die Situation tatsächlich gefährlich ist (wäre ich stattdessen am Tag drauf wieder mit dem Aufzug gefahren, hätte ich wahrscheinlich feststellen können, dass der an der Hamburger-Übelkeit ganz unschuldig war).
  • Ähnliche Situationen (oder Reize) lösen ebenfalls Ängste in mir aus und ich beginne, auch sie zu vermeiden.
  • Ich vermeide mehr und mehr Situationen (oder Reize). Dadurch werden mein Verhalten, meine Möglichkeiten und meine Kompetenzen im Alltag immer mehr eingeschränkt.
  • Ich fühle mich zunehmend hilfloser, ängstlicher und abhängiger von anderen.
  • Ich habe in immer mehr Situationen Angst.
Die Folge sind häufig Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch, und Untersuchungen zufolge münden mehr als 40 % aller über mehrere Jahre hinweg andauernden Angststörungen zusätzlich in eine Depression. Obwohl auch langjährige Angststörungen mit der richtigen Vorgehensweise gut und vollständig ausheilen können, ist es deshalb wichtig, so schnell wie möglich gegenzusteuern, wenn man Opfer einer oder mehrerer Panikattacken geworden ist, damit sich das Muster gar nicht erst verfestigen kann:

  • Lies noch mal Teil 1 dieses Artikels und mach dir klar: Deine Panik ist eine übersteigerte, aber an sich normale und völlig ungefährliche biologische Reaktion (auch wenn es sich anders anfühlt). Dir kann nichts passieren.
  • Erstelle eine Liste von Situationen, die dir Angst machen und in denen du mit einer Panikattacke rechnen würdest. Sortiere diese Situationen dann nach ihrer Schwere (also danach, wie sehr sie dir Angst machen) auf einer Skala von 1 (etwas beängstigend) bis 10 (extrem beängstigend).
  • Setze dich jetzt so oft und so lange wie möglich der ersten Situation auf deiner Liste mit einem Wert von 1 aus. Überfordere dich nicht dabei, aber fordere dich! Du wirst feststellen, dass die Situation ihren Schrecken jedes Mal ein bisschen mehr verliert, wenn du es schaffst, die Angstgefühle auszuhalten, vorübergehen und abzuebben lassen, ohne dass du aus der Situation flüchtest. (Ich erinnere noch mal daran: Panikattacken dauern - entgegen der Befürchtungen der meisten - nicht ewig, sondern klingen von selbst ab, wenn du einfach abwartest.)
  • Arbeite dich auf deiner Liste nun nach und nach weiter nach oben bis zu den Situationen, die dir viel Angst machen. Bleib hartnäckig, auch wenn es schwer fällt. Jedes noch so kleine Überwinden deiner Vermeidungstendenz ist ein großer Erfolg - feiere ihn und belohne dich dafür!
  • Lerne parallel dazu eine Entspannungstechnik deiner Wahl. Das kann Progressive Muskelentspannung sein, Autogenes Training, Atementspannung oder was dir sonst spontan zusagt. Volkshochschulen und andere Träger bieten preiswerte Kurse hierfür an, es gibt auch viele CDs mit Anleitungen und natürlich Bücher. Praktiziere die Entspannungstechnik täglich und regelmäßig, egal, wie es dir geht! Mal hier, mal da und nur ein bisschen geübt, hilft sie nicht.
  • Angstlösende Medikamente können eine kurzfristige Hilfe zur Überwindung einer Anfangsblockade sein, sollten aber nicht länger als ein paar Tage, höchstens eine Woche eingenommen werden. Wenn du schon länger entsprechende Medikamente nimmst (leider werden sie von vielen Ärzten sehr unkritisch und großzügig verschrieben), brauchst du Hilfe bei der Entwöhnung!
  • Such dir einen Psychologischen Psychotherapeuten, der verhaltenstherapeutisch arbeitet. Und zwar nur so einen. Verhaltenstherapie ist die bei weitem erfolgreichste Therapieform bei Angststörungen, erfolgreicher als die ebenfalls von den Krankenkassen bezahlte Tiefenpsychologische/Analytische Psychotherapie. Und da ein psychologischer Psychotherapeut dir (im Gegensatz zu einem ärztlichen Psychotherapeuten oder Psychiater) keine Medikamente verschreibt, besteht nicht die Gefahr, dass du hier in eine Abhängigkeit schildderst, die das Problem zwar verschleiert, aber nicht löst. Entsprechende Adressen bekommst du von deiner Krankenkasse.
  • Recherchiere, ob es in deiner Nähe eine Selbsthilfegruppe zum Thema Angst gibt, der du dich anschließen könntest. Adressen findest du z. B. hier: http://www.angst-und-panik.de/selbsthilfegruppen Gemeinsam lässt sich der anstrengende Weg aus der Angst oft leichter gehen. Auch online gibt es einige Foren, in denen sich Betroffene austauschen können, z. B. http://www.paniker.de/ oder http://www.psychic.de/forum/
  • Vermeide jede Art von körperlicher Schonhaltung! Plane im Gegenteil leichte sportliche Aktivitäten wie regelmäßige flotte Spaziergänge, Walking, Schwimmen oder Tanzen fest in deinen Terminkalender ein. Je fitter du körperlich bist, desto weniger anfällig bist du auch für übertriebene Angstreaktionen.
Sei geduldig mit dir, auch und vor allem dann, wenn deine Angststörung schon länger besteht! Über Nacht gelingt es praktisch nie, Panikattacken loszuwerden. Aber schrittweise und beharrlich kannst du es schaffen. Rechne von vornherein mit Rückschlägen und betrachte sie als normalen Teil des Prozesses - niemand kommt um sie herum. Lass dich nicht von ihnen entmutigen, sondern mach einfach mit deinem Trainingsprogramm weiter. Und noch einmal: Jeder noch so kleiner Erfolg ist ein Sieg, der gefeiert werden muss und für den du dich belohnen solltest!

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