Introversion - ein Gesundheitsrisiko?



Gehörst du zu den introvertierten unter unseren Persönlichkeitstypen? (Falls du dir noch nicht sicher bist, mach einfach unseren kostenlosen Persönlichkeitstest.) Wenn ja, dann bist du ein Mensch, der seine Batterien besser auflädt, wenn er Zeit für sich allein hat - eins der berühmten «stillen Wasser». Für andere ist es dann wahrscheinlich nicht so einfach, dich näher kennenzulernen, denn du lässt nur wenige Menschen wirklich an dich heran. Sicher bist du ein besserer Zuhörer als Redner und denkst lange nach, bevor du dich in einer Sache zu Wort meldest. Allzu viel Gesellschaft ermüdet dich, weshalb du wahrscheinlich wenige handverlesene Freunde bevorzugst. Du verkraftest soziale Kontakte - im Vergleich zu einem Extrovertierten - besser in homöopathischen Dosen. Rückzug und Alleinsein dagegen sind für dich elementare Energiequellen.

So weit, so gut. Introversion ist vieler Hinsicht ein sehr positiver Charakterzug. Introvertierte sind sehr reflektierte, tiefgründige Persönlichkeiten, die sich viele Gedanken um sich, andere und die Welt machen. Dazu kommt ihre hohe Konzentrationsfähigkeit und oft außergewöhnliche Kreativität, verbunden mit ihrer Fähigkeit, sich ganz in sich selbst zurückzuziehen, wenn sie mit einer Sache beschäftigt sind. Kein Wunder also, dass sich jede Menge berühmter Erfinder, Dichter und Denker unter den Introvertierten finden! Auch im Zwischenmenschlichen zeichnen sie sich in aller Regel durch mehr Tiefgang aus als Extrovertierte. Sie pflegen zwar weniger Kontakte als diese, aber dafür sind ihre Freundschaften meist innig, langfristig und in Krisenzeiten auch besser belastbar. Und oft sind Introvertierte dadurch, dass sie mehr in sich selbst ruhen und sich weniger vom Feedback anderer abhängig machen, sehr ausgeglichene, reife und unabhängige Persönlichkeiten.

Introvertierte haben mit erhöhten Gesundheitsrisiken zu kämpfen

Doch leider hat die Qualität Introversion auch so einige Schattenseiten, wie die Forschung zeigt. Introvertierte haben in vielerlei Hinsicht im Vergleich zu Extrovertierten mit erhöhten psychischen und physischen Gesundheitsrisiken zu kämpfen. So belegte zum Beispiel eine Studie der Universität North Carolina, dass sie im Vergleich zu Extrovertierten ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko aufweisen. Ganz vorne auf der Skala fanden sich dabei übrigens die männlichen Sensiblen Macher. Vor allem scheint die Präferenzkombination introvertiert/fühlend/spontan einen Risikofaktor für Depression darzustellen. Neben dem Sensiblen Macher betrifft das also auch den Verträumten Idealisten. Doch auch alle anderen Introvertierten erwiesen sich als erhöht gefährdet. Eine andere Studie derselben Universität stellte fest, dass bei Introvertierten denn auch ein höheres Suizidrisiko besteht als bei Extrovertierten. Besonders betrifft das offenbar introvertiert-spontane Persönlichkeitstypen (also den Sensiblen und den Individualistischen Macher, den Analytischen Denker und den Verträumten Idealisten).

Bei introvertierten Persönlichkeitstypen treten Studien zufolge auch signifikant häufiger affektive Störungen (also Manie, Depression oder bipolare Störung) in Verbindung mit Alkohol- und Drogenmissbrauch auf. Auch hier erwies sich die Kombination introvertiert/fühlend/spontan als besonderer Risikofaktor. Unter den Alkohol- und Drogenpatienten ohne affektive Störung dagegen fanden sich überwiegend extrovertiert-logische Persönlichkeitstypen.

Geringere Lebenszufriedenheit - die Kehrseite der Intraversion?

Es ist noch nicht ganz klar, wie Introversion diese erhöhte Anfälligkeit für affektive Störungen bedingt. Möglicherweise ist die Neigung Introvertierter zu depressiven Verstimmungen nichts weiter als die Kehrseite ihrer erhöhten Introspektions- und Reflexionsfähigkeit: Wer sich viel und intensiv mit sich und seinen Gefühlen beschäftigt, wer Dingen auf den Grund zu gehen versucht und immer bereit ist, alles in seinem Leben zu hinterfragen, der läuft natürlich auch eher Gefahr, auf Unangenehmes oder Deprimierendes zu stoßen. Salopp gesagt: Eine Depression entwickelt man vermutlich eher, wenn man allein im stillen Kämmerlein über den Sinn des Lebens oder die existenzielle Geworfenheit des Menschen ins Sein nachgrübelt, als wenn man (wie viele Extrovertierte) vorzugsweise mit vergnüglichen Sozialkontakten, Party- und Ausgehaktivitäten beschäftigt ist. Letzteres lenkt einen von den großen Fragen des Lebens (und den häufig darauf fehlenden Antworten) und den negativen Seiten der Welt eher ab, während ersteres den Scheinwerfer unter Umständen grell und unbarmherzig auf all das richtet, was das Leben schwierig und unwägbar macht. Viele der daraus resultierenden Überlegungen dürften gerade für fühlende Persönlichkeitstypen besonders schwer auszuhalten sein.

Eine Untersuchung der Universität Houston-Victoria aus dem Jahr 2001 ergab in der Tat, dass Introvertierte eine deutlich geringere Lebenszufriedenheit, ein geringeres psychisches Wohlbefinden aber eine höhere Selbst-Bewusstheit (im Sinne von Selbstreflexion) haben als Extrovertierte. Vielleicht ist der bei depressiven bzw. bipolaren Sensiblen Machern und Verträumten Idealisten vermehrt auftretende Alkohol- oder Drogenmissbrauch dann auch nichts anderes als ein verzweifelter Versuch, überwältigende negative Emotionen auf diese Weise zu „therapieren“ oder zumindest erträglicher zu machen. Rauschmittel (vor allem Alkohol) heben den Serotoninspiegel im Gehirn nämlich kurzzeitig an, der bei Depressionen zu niedrig ist, und sorgen so für mehr Wohlbefinden.

Das erhöhte Depressions- und vor allem das erhöhte Suizidrisiko von Introvertierten könnte auch damit zu tun haben, dass sie in Krisenzeiten eher als Extrovertierte mit Rückzug reagieren. Das ist ihre übliche Bewältigungsstrategie für anstrengende Situationen - eigentlich ein durchaus sinnvoller Reflex, wenn man bedenkt, dass sie, um ihre Batterien wieder aufzuladen, ja tatsächlich das Alleinsein und die Ruhe dringend brauchen. Das Problem ist nur, dass dieser eigentlich hilfreiche Mechanismus bei Introvertierten auch durchaus mal aus dem Ruder laufen kann - will heißen, sie kapseln sich dann so sehr von ihrer Umwelt ab, dass sie sich damit irgendwann nicht mehr guttun, sondern schaden. Soziale Unterstützung durch Freunde und Familie ist gerade in Krisenzeiten ein äußerst wichtiger Schutzfaktor gegen Stress und Depression, das haben unzählige Studien nachgewiesen. Das Sprichwort „geteiltes Leid ist halbes Leid“ ist deshalb unbedingt richtig. Das Gefühl, mit anderen über Probleme sprechen zu können, moralische und vielleicht auch aktive Hilfe von anderen zu erfahren und sich von einem sozialen Netz aufgefangen und getragen zu fühlen, ist existenziell für jeden Menschen und hilft enorm bei der Stressbewältigung. Extrovertierte - die auch in guten Zeiten mehr von der Gesellschaft anderer profitieren als vom Alleinsein - nutzen diesen Mechanismus deshalb in schwierigen Zeiten instinktiv. Introvertierte dagegen unterschätzen die Hilfe, die ihnen durch andere psychisch und praktisch zuteil werden könnte und lassen diese Ressource deshalb ungenutzt. Unter Umständen kann das dann irgendwann zu einer - gefühlten oder tatsächlichen - völligen Isolation führen, in der Gefühle von Niedergeschlagenheit und Auswegslosigkeit dann übermächtig werden.

Introvertierte verkraften Reize und Stress schlechter als Extrovertierte

Introvertierte empfinden Reize aller Art intensiver als Extrovertierte. Das zeigen vergleichende Messungen der Hirnaktivität bei Extro- und Introvertierten. Sowohl im Ruhezustand als auch während des Lösens kognitiver Aufgaben maßen die Forscher bei den introvertierten Versuchspersonen höhere elektrische Aktivität im Gehirn, also höhere kortikale Erregung. Psychologen sprechen von einem „optimalen Erregungsniveau“, einer Balance zwischen zu viel und zu wenig Stimulation, das wir instinktiv anstreben, um uns wohlzufühlen. Dieses optimale Erregungsniveau ist bei jedem Menschen anders - und vermutlich liegt darin eine Erklärung der unterschiedlichen Präferenzen von introvertierten und extrovertierten Menschen: Introvertierte müssen sich regelmäßig von ihrer Umwelt zurückziehen, um einer Reizüberflutung gegenzusteuern, während Extrovertierte im Gegenteil genau diese externen Reize suchen, um eine Unterstimulierung ihres Gehirns zu vermeiden. Zu viele Reize sind für Introvertierte also schlechter zu verkraften als für Extrovertierte, und das gilt nicht nur psychisch, sondern auch physisch: Tatsächlich lässt sich belegen, dass auch das Immunsystem von Introvertierten sensibler auf Stressbelastung und Reizüberflutung reagiert, als das von Extrovertierten. Das macht sie, wie AIDS-Forscher 2003 herausfanden, anfälliger für Infektionskrankheiten aller Art und lässt chronische Erkrankungen bei ihnen heftiger verlaufen.

Die Tatsache, dass Introvertierte Stress schlechter verkraften als Extrovertierte, ist möglicherweise auch mit ein Grund dafür, dass sie häufiger unter Burnout leiden als diese. Neben dem schon erwähnten kritischen Verhalten in Krisensituationen - übertriebener Rückzug und deshalb fehlende soziale Unterstützung - begünstigt auch die Neigung vieler Introvertierter zu Schlafstörungen die Entwicklung von Burnout und anderen Stresserkrankungen. Introvertierte kommen aufgrund ihres Hangs zu übertriebenem Grübeln oft entweder abends schwer oder gar nicht zur Ruhe - oder sie wachen nachts auf und verstricken sich dann in endlose Gedankenspielereien. Gar nicht so selten sind die Schlafstörungen von Introvertierten in gewisser Weise auch „hausgemacht“: Weil ihnen die Welt tagsüber zu laut und überwältigend erscheint, bevorzugen sie die vergleichsweise Stille der Nacht, um in Ruhe ihren Gedanken nachhängen zu können. Da aber die Rhythmen des normalen Alltags nicht gerade Nachteulen-freundlich sind und die meisten Introvertierten trotzdem gezwungen sind, frühmorgens wieder aufzustehen, führt das oft in eine Spirale von fehlendem Schlaf, Dauermüdigkeit und weiter erhöhter Infektanfälligkeit (denn auch Schlafentzug schwächt das Immunsystem natürlich).

Was können Introvertierte tun?

Die wichtigste Maßnahme, um all diesen besonderen Gesundheitsrisiken, die mit der Charaktereigenschaft Intraversion verbunden sind, entgegenzuwirken, hast du allerdings bereits ergriffen: Du hast den ipersonic Persönlichkeitstest gemacht und dabei festgestellt, dass du zu den Introvertierten gehörst. Du bist dir also jetzt der Tatsache bewusst, dass du in mancher Hinsicht besonders achtsam mit dir umgehen solltest - achtsamer in jedem Fall, als ein extrovertierter Persönlichkeitstyp es tun müsste. Kein Grund, sich übertriebene Sorgen zu machen, aber auf jeden Fall, aufmerksam und einen Tick selbstkritisch das eigene Verhalten in bestimmten Situationen (speziell Krisen) zu beobachten!

Sei dir immer darüber im Klaren, dass es gerade für dich extrem wichtig ist, eine gute Balance zwischen zu viel und zu wenig Sozialkontakten und Außenstimulation zu halten. Einerseits brauchst du Zeiten der Ruhe und des Alleinseins dringend, um dich wohl zu fühlen und dich keiner Überreizung auszusetzen. Andererseits solltest du sehr genau darauf achten, dass sich dein Bedürfnis nach Rückzug gerade in Krisenzeiten nicht verselbständigt und du dich auf diese Weise von wichtigen Ressourcen zu ihrer Bewältigung selbst abschneidest. Gerade die sozialen Beziehungen Introvertierter zeichnen sich nämlich in aller Regel durch besonderen Tiefgang, Nähe und durchaus auch Belastbarkeit aus. Introvertierte pflegen sehr viel weniger Freundschaften als Extrovertierte (nicht wenige sagen von sich, dass sie überhaupt nur einen/eine echte/n FreundIn haben!), aber diese wenigen Freundschaften sind dafür qualitativ äußerst hochwertig. Scheue dich deshalb nicht, dich in Phasen, in denen dir das Leben besonders schwer erscheint, deinen Freunden zuzumuten! Erlaube dir, andere um Hilfe zu bitten und Entlastung zu suchen, statt dich im stillen Kämmerlein zu verschanzen und stumm vor dich hin zu leiden. Du wirst sehen, deine Freunde enttäuschen dein Vertrauen sicher nicht!

In normalen Zeiten solltest du auch ab und zu mal Inventur machen und dich fragen, wie es insgesamt um dein soziales Netz bestellt ist. Wie schon gesagt, es ist völlig in Ordnung, wenn du als Introvertierter nicht stapelweise Telefonnummern sammelst und jeden Abend mit jemand anderem um die Häuser ziehst (wahrscheinlich ermüdet dich schon der Gedanke an ein solches Leben, oder?). Trotzdem solltest du dein soziales Netz nicht zu weit in Richtung Null schrumpfen lassen - etwas, was Introvertierten in bestimmten Situationen (wenn sie z. B. den Wohnort oder den Arbeitsplatz wechseln und damit ihre gewohnten Kontakte plötzlich nicht mehr verfügbar sind) manchmal passiert. Lass dich auch nicht zu sehr in die Illusion virtueller Kontakte fallen. Für Introvertierte sind Dinge wie Telefon, E-Mail und das Internet zwar einerseits ein Segen - sie können soziale Kontakte auf diese Weise distanzmäßig sehr viel besser nach ihrem Belieben regulieren und pflegen - andererseits unter Umständen auch ein Fluch: Wenn du deine Sozialkontakte im Geiste durchgehst und feststellst, dass eigentlich sämtliche Menschen, die dir wirklich nahe stehen und wichtig sind, mindestens 200 km von dir entfernt wohnen, dann ist das keine gute Sache. Wenigstens ein bis zwei deiner Freunde sollten für dich relativ unproblematisch jederzeit auch in persona erreichbar sein. Täusch dich nicht darüber hinweg, dass es zwar schön ist, einen Seelenfreund in Hamburg zu kennen, dass der- oder diejenige dir aber kaum nachts um drei aus der Krise helfen können wird, wenn es einmal darauf ankommen sollte. Und so schön stundenlange Telefonate und tiefsinnige Mailkontakte auch sein können - sich einfach ab und zu mal auf einen Kaffee verabreden und miteinander von Angesicht zu Angesicht reden oder etwas Nettes zusammen unternehmen zu können, ist trotzdem nicht durch sie ersetzbar! Wenn du merkst, dass das für dich mit deinen bestehenden Sozialkontakten schwierig ist, dann ergreife die Initiative, dein Netzwerk etwas zu erweitern. Gemeinsame Interessen sind gerade für Introvertierte oft der beste Schlüssel zu neuen Beziehungen - raff dich also auf und besuch einen Kurs, der dich interessiert, engagiere dich für eine Sache, die dir am Herzen liegt oder sprich jemanden an, den du schon länger gern näher kennenlernen würdest!

Last but not least: Suche dir im Zweifel auch professionelle Hilfe, und zwar lieber früher als später. Das bedeutet: Wenn du den Eindruck hast, dass deine Stimmung über einen längeren Zeitraum kontinuierlich schlechter wird, dein Antrieb erlahmt, du dich immer schneller erschöpft fühlst, dir Dinge, die dir normalerweise Spaß machen, keine Freude mehr bereiten und du aus dem Grübeln gar nicht mehr herauskommst, dann denk daran, dass du zu einer besonderen Risikogruppe vor allem für unipolare Depressionen und Burnout gehörst. Es ist selbst für Fachleute oft nicht einfach, die Grenze zwischen einer vorübergehenden seelischen Verstimmung und einer beginnenden Depression oder einem Burnout zu erkennen, also lass es nicht darauf ankommen und sprich so bald wie möglich mit einem Psychotherapeuten über deine Situation. Bist du tatsächlich auf dem Weg in eine affektive Störung, dann ist dir umso leichter und effektiver zu helfen, je früher das erkannt und behandelt wird. Niemand hat etwas davon, wenn du dich unnötig lange allein damit herumquälst. Sich in so einer Situation Hilfe zu holen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil von Stärke und Lebenskompetenz. Also trau dich - du hast dabei nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen!

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