Hilfe, wir sind sexuell befreit!



"Vor 50 Jahren hat sich eine Frau noch Sorgen gemacht, wenn sie einen Orgasmus hatte. Heute macht sie sich Sorgen, wenn sie keinen hat", sagt Claudia Haarmann, ihres Zeichens Psychotherapeutin und Autorin des Buchs "Untenrum - Die Scham ist nicht vorbei". Ihre angesichts einer hoch sexualisierten Gesellschaft provozierende These: Von einer befreiten Sexualität sind wir Frauen noch weit entfernt. Eigentlich wissen wir selbst gar nicht wirklich, was wir im Bett wollen. Ja, woher sollen es denn dann die armen Männer wissen?
 
Dieses Nicht-Wissen ist auch kein Wunder, meint Frau Haarmann. Schließlich hatten wir nach Jahrhunderten sexueller Unterdrückung gerade mal 40 Jahre Zeit, uns in unseren Erwartungen an uns und die Männer komplett umzustellen. In früheren Zeiten war klar: Sexualität ist was, was den Männern Spaß macht und den Frauen eher peinlich ist - sie lassen es halt mit geschlossenen Augen über sich ergehen, um den Ehemann zufrieden zu stellen und um Kinder zu bekommen. Sexuelle Aktivität oder gar Abenteuerlust bei (anständigen!) Frauen wurde eher misstrauisch beäugt. Heute sollen Frauen plötzlich sexuell versiert und für alle möglichen Techniken aufgeschlossen sein, sie sollen genauso viel Interesse an Sex haben wie Männer (dabei aber natürlich nicht in die Promiskuität abgleiten!) und selbstverständlich von einem Orgasmus in den nächsten fallen, am besten bitte gleich multipel. Die Medien suggerieren einem fröhlich, dass das für alle anderen überhaupt kein Problem darstellt und alle ständig ganz fabelhaften Sex haben - nur man selbst leider nicht. Egal, ob man einen Hollywoodstreifen, ein Werbeplakat oder einen MTV-Spot anschaut: Die Frauen sind alle leidenschaftlich, lüstern und sehen aus wie Supermodels, auch wenn sie bloß auf der Motorhaube eines Sportflitzers herumlümmeln.

Der österreichische Sexualtherapeut und Kabarettist (eine schöne Berufskombination, finde ich!) Bernhard Ludwig (http://www.seminarkabarett.com/) hat das an anderer Stelle mal so erklärt:
"Sexuelle Lustlosigkeit entsteht dann, wenn das Erwartete durch das Erreichte geteilt wird. Je höher die Erwartungen, desto mickriger wirkt das Erreichte."
Und für Erwartungen sind wir Frauen ja nun mal sehr empfänglich, vor allem für die der anderen! Statt uns mit uns selbst zu beschäftigen und uns zu fragen, was wir ganz persönlich uns denn für uns und unsere Sexualität wünschen, betrachten wir uns die ganze Zeit mit Adleraugen von irgendwo außerhalb und setzen uns unter einen enormen Leistungsdruck, der natürlich der beste Lustkiller ist. Nein, diese Position geht auf keinen Fall, da hängt mein Bauch so durch. Bin sowieso zu dick. Und das letzte Mal Enthaaren liegt auch schon wieder drei Wochen zurück. O Gott, da ist ein Pickel an meinem Busen! Und wie rieche ich heute überhaupt?? - Sollten wir uns mal kurzfristig von unseren eigenen eklatanten Mängeln ablenken lassen, dann kreist unser Denken trotzdem offenbar zu selten um die Frage, was uns selbst eigentlich Spaß macht. Viel zu sehr konzentrieren wir uns statt dessen darauf, den Partner irgendwie zu beeindrucken oder ihm einen Gefallen zu tun. Eine Studie der Berliner Charité zeigte, dass Frauen einen Orgasmus vor allem dem Partner zuliebe vortäuschen: um ihn als Liebhaber zu bestätigen, seinen Höhepunkt zu beschleunigen oder weil sie das Gefühl haben, es ihm schuldig zu sein.

Dabei zeigt sich immer wieder, dass eine gute Beziehung zum eigenen Körper die beste Voraussetzung für sexuelle Zufriedenheit bei Frauen ist. Die meisten überschätzen die Wirkung, die kleine körperliche Mängel auf den Partner haben, sowieso völlig. Die wenigsten Männer registrieren beispielsweise ein paar Kilo mehr oder weniger an ihrer Partnerin überhaupt (deswegen sind sie von dem ständigen "findest du mich zu dick?"-Gequengel auch so genervt!). Viel sinnvoller wäre es, wenn Frauen damit anfangen würden, sich selbst und ihre Bedürfnisse für sich zu entdecken, diese wirklich wichtig zu nehmen - und diese dem Partner auch mitzuteilen. Männer können nun mal keine Gedanken lesen (Frauen übrigens auch nicht, die bilden sich das nur manchmal ein!) und werden auch nicht als perfekte Liebhaber geboren. Die meisten von ihnen sind aber durchaus lernwillig und -begierig und finden es sogar sehr sexy, wenn eine Frau ihnen sagt, was sie sich wünscht. Mittlerweile ist längst erwiesen, dass nur etwa 20 - 30 % der Frauen allein durch Penetration überhaupt zum Orgasmus kommen können. Na und? Es gibt doch reichlich andere Möglichkeiten auszuprobieren! Und überhaupt: diese ständige Jagd nach dem ultimativen Höhepunkt macht doch sowieso keinen Spaß. Der Weg ist das Ziel.

Eine gute Methode ist es, sich mal selbst für einen bestimmten Zeitraum "orgasmusfrei" zu geben. Um sich in dieser Zeit - das können ein paar Wochen sein, aber natürlich auch länger oder kürzer - nur auf das zu konzentrieren, was man fühlt, ganz ohne Stress und Druck. Im Idealfall entdeckt frau dabei, was ihr selbst wirklich gut tut - und was eben nicht. Dann braucht es nur noch ein bisschen Mut, um die Scham über Bord zu werfen und mit dem Partner darüber zu reden. Und vielleicht schaffen wir es ja dann, unsere ganz persönliche Sexualität zu entwickeln und zu leben und auf Hollywood zu pfeifen.

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