Gewalt gegen Frauen - Wer hilft, wenn die Beziehung eskaliert?



Vergangene Woche hatte ich Urlaub; meine Praxis war geschlossen. Ich buddelte gerade vergnügt im Garten herum, als es an der Tür klingelte. Da ich dachte, es sei vielleicht eine angekündigte Paketlieferung, machte ich auf. Es waren aber zwei junge Frauen, eine davon tränenüberströmt, die unbedingt mit mir reden wollten. Meine hilflosen Verweise auf meine erdbeschmierten Gartenklamotten und die Tatsache, dass ich eigentlich im Urlaub sei, nutzten nichts. Also zog ich die Handschuhe aus und hörte mir ihre Geschichte an.

Eine der beiden war verheiratet, die andere war ihre Freundin. In der Ehe hatte es schon des längeren gekriselt, Streitereien waren an der Tagesordnung. Die Auseinandersetzungen waren immer gewalttätiger geworden; der Ehemann schlug mittlerweile bei jeder Gelegenheit zu. Eskaliert war das Ganze zwei Tage zuvor, als er seiner Frau ein Messer an den Hals gedrückt und damit gedroht hatte, sie umzubringen. Sie war zu ihrem Bruder in den Nachbarort geflüchtet und hatte sich dort versteckt. Seither lebte sie in der Angst, ihr Mann könne sie dort aufspüren und seine Drohung wahr machen.

"Es ist wie eine Epidemie. Aber aus Scham gibt kaum jemand die Misshandlung zu", sagte der Wissenschaftler Robert Thompson über die Ergebnisse seiner Studie über Gewalt in Beziehungen. 44 % der Frauen, die er befragte, hatte mindestens einmal Gewalt körperlicher oder seelischer Art durch ihren Partner erlebt. Im Sommer 2004 gab das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Studie zum Thema „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ heraus. Die schockierenden Zahlen nach der Befragung einer repräsentativen Stichprobe von 10.000 Frauen:
  • 37% aller Befragten haben mindestens einmal körperliche Gewalt ab dem 16. Lebensjahr erlebt.
  • 13% der befragten Frauen, also fast jede siebte Frau, gaben an, seit dem 16. Lebensjahr Formen von sexueller Gewalt erlebt zu haben.
  • 40% der befragten Frauen haben körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt.
  • Unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung haben 58% der Befragten erlebt.
  • 42% aller befragten Frauen gaben an, Formen von psychischer Gewalt erlebt zu haben, die von Eingeschüchtertwerden oder aggressivem Anschreien über Verleumdungen, Drohungen und Demütigungen bis hin zu Psychoterror reichten.
  • Rund 25% der in Deutschland lebenden Frauen haben Formen körperlicher oder sexueller Gewalt (oder beides) durch aktuelle oder frühere Beziehungspartnerinnen oder -partner erlebt. Bei 64% der Betroffenen hatten die gewaltsamen Übergriffe durch (Ex-)Partner körperliche Verletzungen von Prellungen und blauen Flecken bis hin zu Verstauchungen, Knochenbrüchen, offenen Wunden und Kopf-/Gesichtsverletzungen zur Folge.
  • Trauriger Höhepunkt solcher Auseinandersetzungen: In Deutschland ist jedes zweite Tötungsdelikt eine Beziehungstat (d. h. Täter und Opfer stehen in einem Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsverhältnis zueinander).
Die Studie stellt weiterhin fest: „Es ist davon auszugehen, dass auch durch die vorliegende Untersuchung bestehende Dunkelfelder nicht vollständig aufgedeckt werden können, weil ein Teil der gewaltbetroffenen Frauen nicht an der Untersuchung teilgenommen oder aber zwar teilgenommen, aber keine Auskunft zu erlebter Gewalt gegeben hat. Insofern handelt es sich bei den oben genannten Gewaltprävalenzen eher um Mindestwerte; real dürften die Gewaltbetroffenheiten – insbesondere bei den stärker tabuisierten Gewaltformen und -kontexten im Bereich engster sozialer Beziehungen – höher liegen.“

Gewalt in Beziehungen wird in erster Linie von Männern ausgeübt. Psychologie-Professor Harald Euler beispielsweise bezeichnete in einem Interview die Gewalt in Partnerschaften als "typisch männlich". Er begründete dies evolutionspsychologisch damit, dass Männer ihre Partnerinnen als Besitz betrachteten, den sie eifersüchtig bewachen und kontrollieren (vor allem, um die Gefahr von Kuckuckskindern zu senken, falls die Partnerin untreu ist), und den sie im Extremfall - wenn die Frau sie verlässt - lieber vernichten, also töten, ehe ihn einem anderen Mann zu überlassen. Sieht man sich die Statistiken an, muss man ihm Recht geben. In England beispielsweise kommen jährlich etwa 100 Frauen durch Zutun ihres Partners zu Tode, aber nur etwa 10 Männer werden pro Jahr von ihren Partnerinnen getötet. In anderen westlichen Staaten ist das Verhältnis etwa vergleichbar. In Spanien starb seit ersten Januar dieses Jahres jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres (ehemaligen oder aktuellen) Partners oder Ehemannes. Bisheriger schrecklicher Höhepunkt war dort der Februar 2008: Innerhalb von 24 Stunden wurden in diesem Monat vier Frauen von ihren Partnern umgebracht. In Frankreich liegt die Rate bei einer getöteten Frau alle vier Tage. Insgesamt wurden laut einer Statistik der EU-Kommission von 2005 in den 15 alten EU-Mitgliedstaaten jährlich zwischen 700 und 900 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet.

Andrés Montero Gomez, Direktor der Spanischen Gesellschaft für die Psychologie der Gewalt in Valencia schrieb in einem Beitrag der Tageszeitung „El Correo“ über diese Welle von Femiziden: „Mit Gewalt versucht der Aggressor, die Persönlichkeit der Frau auszulöschen, aus ihr ein neues Wesen mit einer neuen Identität zu machen, das seinen Wünschen entspricht und ihm gehorcht. Der Aggressor würde die Frau lieber ihr Leben lang tyrannisieren - zum Mord kommt es, wenn die Frau versucht, vom Aggressor los zu kommen.“ - Der Psychologe José Ignacio Paz Ruiz formuliert es ähnlich: „Was der Peiniger sucht, ist eine Sklavin. Niemand ist so dumm, seine Sklaven zu töten. Einen Sklaven bringt man nur dann um, wenn er zu entkommen versucht.“

Warum kommt es überhaupt zu Gewalt in Beziehungen? Und warum lassen die Betroffenen sich das oft jahrelang gefallen?


Forschungsergebnisse legen den Schluss nahe, dass Personen, die als Kinder geschlagen wurden, später zu aggressivem Verhalten in der Partnerschaft neigen. Dazu gehören verbale Aggressionen ebenso wie körperliche Angriffe und das Bedürfnis nach Kontrolle. Meist fehlt diesen Menschen auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Übrigens waren diese Unterschiede zu Partnern, die gewaltfrei erzogen wurden, immer feststellbar, auch wenn die befragten Personen selbst sagten, die Schläge als Kind hätten ihnen nicht geschadet. Vermutlich findet hier einfach ein Lernprozess statt: „Aha,wer am lautesten schreit bzw. am stärksten ist und sich körperlich durchsetzt, behält in der Familie Recht. Aggression ist also eine gute und Erfolg versprechende Art, mit Konflikten und Ärger umzugehen!“ Natürlich gibt es auch die umgekehrte Entwicklung: Wenn ich als Mädchen immer erlebe, wie Vater Mutter verdrischt und diese das einfach hinnimmt, kann es leicht passieren, dass ich dieses Verhalten als normal empfinde und mir selbst in einer späteren Partnerschaft gar nicht auffällt, dass ein Mann mich misshandelt. Das gehört dann eben so. Kulturelle Gegebenheiten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. In Spanien z. B. ist es sicher der dort immer noch sehr viel stärker vertretene „Machismo“, der der männlichen Gewalt Vorschub leistet. Aber auch in islamischen Familien ist die Gewaltrate gegen Frauen erhöht. In oben zitierter Studie zeigte ein Vergleich unterschiedlicher Teilpopulationen, dass unter türkischen Migrantinnen der Anteil derjenigen, die Gewalt innerhalb der Paarbeziehung erfahren hatten, noch deutlich höher lag als unter den deutschstämmigen Frauen.

Oft sind es fehlende Alternativen, die die Opfer in der Gewaltbeziehung halten: kein eigenes Geld, keine Ausbildung - da ist es schwer, sich bei der ersten Ohrfeige auf dem Absatz umzudrehen und zu gehen. Und hat man erst das erste Mal durchgehen lassen, wird es immer schwieriger, sich der Situation zu entziehen. Vor allem junge Frauen mit niedrigem Einkommen werden daher oft Opfer partnerschaftlicher Gewalt. Fehlende Selbstachtung und das Gefühl, eigentlich nichts wert zu sein, vielleicht sogar "selbst schuld" zu sein, spielen ebenfalls eine Rolle. Wer sich selbst nicht achtet und schätzt, kann auch von einem Partner keine Achtung einfordern.

Es hat keinen Sinn, sich bei Gewalt in der Partnerschaft einzureden, der andere hätte "es eigentlich nicht so gemeint" oder das Ganze sei ein einmaliger Ausrutscher gewesen oder - schlimmer noch - man selbst hätte die Strafe irgendwie herausgefordert oder gar verdient. Aus einmal wird schnell zweimal, und der Rest entwickelt sich. Kein Verhalten eines Partners rechtfertigt einen Angriff auf seine physische und psychische Unverletzlichkeit. Ganz bestimmt hat die Aggression des anderen mehr mit diesem selbst zu tun als mit dem Opfer, und vermutlich finden sich wirklich reichlich Erklärungsmöglichkeiten in dessen Kindheit. Aber anzunehmen, dass sich das "schon geben" wird oder man es "irgendwie" in den Griff bekommt, ist eine gefährliche und in den meisten Fällen aussichtslose Sache. Das Mindeste, was man an einer solchen Stelle einfordern sollte, ist der Gang zu einer Beratungseinrichtung oder einem Paartherapeuten. Wenn das auf Ablehnung stößt, dann verwendet man seine Energie besser darauf, sich selbst Unterstützung zu holen, als die Beziehung zu retten. Und sich vor weiteren Übergriffen zu schützen. Eine gute Anlaufstelle dafür sind die Gleichstellungsbeauftragten in der eigenen Stadt oder Region: Sie haben in der Regel Verzeichnisse der geeigneten lokalen Beratungsstellen und Hilfsangebote vorliegen. Auch die Frauenhäuser bieten entsprechende Beratung und Begleitung an (übrigens auch dann, wenn man selbst nicht gleich ins Frauenhaus ziehen möchte). Viele größere Städte haben mittlerweile sogar spezielle Hotlines eingerichtet, die Frauen in Fällen häuslicher Gewalt oder Stalking anrufen können, z. B.
  • Hamburg: 040 / 226 226 27
  • Berlin: 030 / 611 03 00
  • Köln: 0221 / 27 64 90
  • Frankfurt: 069 / 70 94 94
und sogar unser kleines pfälzisches Landau: 06341 / 38 19

Also, wenn du selbst auch zu den betroffenen Frauen gehörst, dann denk daran: es gibt Hilfe! Zögere nicht, sie dir zu holen. Und hör auf, dir selbst etwas vorzumachen und zu glauben, ein Mann, der dich seelisch oder körperlich quält, würde dich lieben. Chuck Spezzano, ein amerikanischer Psychologe, hat es in einem seiner Bücher mal auf den Punkt gebracht: Wenn es verletzt, ist es keine Liebe. Auch wenn ich persönlich nicht mit allen seinen Thesen etwas anfangen kann, ich denke, daran gibt es nichts zu deuteln.

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